Mythos (Film) Geschichte

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Der Film hat schon lange das Buch als primäre Sozialisationsinstanz für historisches Wissen abgelöst.  Dies gilt nicht nur im biographischen Sinne (weil der Konsum von Filmen meist der schulischen Geschichtsvermittlung vorausgeht), sondern auch im quantitativen: Für die meisten Menschen bleiben Historienfilme und TV-Dokumentationen ein Leben lang wichtigste Bezugsquellen für historisches Wissen und Grundlagen für die Ausbildung ihres Geschichtsbewusstseins.

Überraschend ist, wie zögerlich sich Geschichtsdidaktik und Geschichtswissenschaft dem Medium des Films bisher gewidmet haben – dabei sind die Instrumente durchaus schon länger vorhanden: medienwissenschaftliche Methoden der Filmanalyse, strukturanalytische Ansätze der Narratologie (wie in unserem Kurs im letzten Jahr behandelt), theoretisches Rüstzeug aus der Psychologie und Semiotik und vieles mehr…

Im Kurs wollen wir uns mit diesen Mitteln einem ausgewählten Aspekt der Thematik nähern: der Beziehung von Mythos und Geschichte und ihre Manifestation im Film. Grundlage werden die modernen theoretischen Begründungen des Mythosbegriffs sein, aber den Spuren des Mythischen gehen wir vor allem in praktischer Analysearbeit an den Filmen nach. Die Heldenreise des Kurses geht also weiter…

[gemeinsame Kursleitung mit Rainer Burkard, Berlin]

Themenübersicht und Literatur

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300

Karl (Karlsschrein Aachen)

 

The Messenger - Joan of Arc

Vampire

 

The Birth of a Nation

Triumph des Willens

 

Das Drama von Dresden

 Saving Private Ryan

 

 Bourne Identity

In the Land of Blood and Honey

 

Barthes Mythen des Alltags

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Prometheus

Prometheus ist eine ungewöhnliche Gestalt am griechischen Götterhimmel. Als Titan half er gegen seine eigene Familie den Göttern um Zeus an die Macht. Nur dankte ihm Zeus, der Göttervater, diese Hilfe nicht. Weil Prometheus sich der Menschen erbarmte, für die die neuen Götter nicht viel übrig hatten, und ihnen deshalb aus dem Olymp das Feuer stiehlt, lässt Zeus Prometheus an einen Felsen schmieden, wo ein Adler ihm an der immer nachwachsenden Leber frisst. Von Shelley (der Titel ihres berühmten Buchs heißt "Frankenstein oder der moderne Prometheus") bis zu Heiner Müller und Hollywood hat sich die Moderne an ihm entzündet.
Wir werden ausgehend von "Der gefesselte Prometheus" von Aischylos zwei deutsche Prometheus-Texte untersuchen. Aus Goethes Ode spricht, ganz im Gegensatz zu Aischylos, ein stürmerischer Prometheus. Und ein stolzer: Diese Figur hat seine Fesseln selbst gelöst und macht sich über die Götter lustig. Goethes Prometheus ist ein Aufklärer, der die Götter als Projektion der Menschheit entlarvt, der nur durch den Akt der Verehrung existiert. Diese Behandlung des Mythos erzählt über Goethes eigene Aufbruchszeit mindestens so viel wie über die griechische Antike. Einen Schritt weiter geht im 20. Jahrhundert Franz Kafka. Bei ihm stehen ganz verschiedene Prometheus-Narrative unverbunden nebeneinander. Der Konstruktion und Destruktion von Mythen werden wir anhand dieser drei Texte am Beispiel von Prometheus auf der Burg nachspüren.

  • Aischylos, Der gefesselte Prometheus
  • Johann Wolfgang Goethe, Prometheus
  • Franz Kafka, Prometheus
300

300

"This is Sparta!", schallte es 2007 aus den Lautsprechern der Kinosäle. Leonidas und seine 300 Krieger marschierten 480 v. Chr. in den Thermophylenpass, um die Freiheit Griechenlands vor den Persern zu verteidigen, und kamen dabei alle ums Leben. Durch die Jahrhunderte hinweg wurde der Mythos der 300 immer wieder in politischen und nationalen Kontexten instrumentalisiert. 1998 hielt der Mythos dann erfolgreich Einzug in die Populärkultur durch die Graphic Novel von Frank Miller und deren Adaptation im Film von Zack Snyder - und sieht dort ganz anders aus, als man es erwarten könnte.

  • 300 (2006, ca. 117 min., Regie: Zack Snyder, FSK 16)
  • Frank Miller, Lynn Varley: 300, Dark Horse Comics 1999 (Auszüge)
  • Herodot, Historien, Buch VII (Auszüge)
Karl (Karlsschrein Aachen)

Karl der Große

Es ist Karlsjahr! Um Karl den Großen ranken sich in den genau 1200 Jahren seit seinem Tod eine nahezu endlose Zahl an Mythen - und, kennst DU irgendeine davon? Die Nachwelt hat aus ihm einen Heiligen, den perfekten Monarchen, den Gründervater verschiedenster Nationen und Institutionen, aber auch den Sachsenschlächter und barbarischen Unterdrücker gemacht.
Welches Bild haben wir heute vom ersten Kaiser des Mittelalters? Und ist dieses Bild eigentlich genauso ein Ausdruck unserer Zeit, wie wir es für frühere Epochen annehmen?

  • Karlsschrein (1215), Dom zu Aachen
The Messenger - Joan of Arc

Jeanne d'Arc

Von den Engländern als Hexe verbrannt, von der Kirche als Heilige verehrt und von den Franzosen als Nationalheldin gefeiert. Jeanne d’Arc ist für die heutige Geschichtswissenschaft als historische Figur kaum greifbar und trotzdem ist es immer wieder spannend, sich mit der vielschichtigen und komplexen Figur der Jungfrau von Orleans zu beschäftigen. Welche Mythen ringen sich um sie und wie werden sich diese im Medium Film zunutze gemacht? Gibt es Möglichkeiten einer so komplexen Figur gerecht zu werden? Und was passiert, wenn man den Anspruch erhebt, die "historisch korrekte" Jeanne abgebildet zu haben?

  • Johanna von Orléans (orig. The Messenger: The Story of Joan of Arc, 1999, ca. 158 min., Regie: Luc Besson, FSK 16)
  • Dietmar Rieger: Geschichte und Geschichtsmythos. Einige Überlegungen am Beispiel der Jungfrau von Orléans, in: Mythosaktualisierungen. Tradierungs- und Generierungspotentiale einer alten Erinnerungsform, hg. von Stephanie Wodianka (Media and Cultural Memory 4), Berlin 2006, 17-30
Vampire

Vampire

Wozu Geschichte, wenn man unsterblich ist?
Ob "True Blood", "Twilight" oder "Vampire Academy" - Vampire sind Bestseller und hoch modern, wenngleich ihr mythologischer Ursprung weit älter ist. Was ist derart faszinierend an der Vorstellung des blutdürstenden Wiedergängers? Sind es die Themen Macht, Tod und Begierde? Oder aber die gedankliche Beschäftigung mit der Unsterblichkeit? Diese wirft unweigerlich auch die Frage nach der eigenen Verortung in der Gegenwart auf.
Wie verhalten sich die "Unsterblichen" innerhalb ihrer Ahistorizität? Was bedeutet Geschichte für das Individuum? Welche Ideen fanden Denker wie Nietzsche und Kant zu diesen Fragestellungen? Und was sind die Angebote, die die Narrationen des Vampir-Genres uns hierzu machen?

  • Interview mit einem Vampir (orig. Interview with the Vampire, 1994, ca. 123 min., Regie: Neil Jordan, FSK 16)
  • Only Lovers Left Alive (2013, ca. 123 min., Regie: Jim Jarmusch, FSK 12)
  • Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe: 2. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, in: Unzeitgemäße Betrachtungen. Friedrich Nietzsche: Werke, S. 3989ff. (Auszüge)
The Birth of a Nation

The Birth of a Nation

Dieser Film ist gefährlich! Und das, obwohl er ohne Gewalt und ohne Altersbeschränkung auskommt.
Mit "The Birth of a nation" begeben wir uns auf die Suche nach Konstruktion und Wahrheit. Nach Identität und Künstlichkeit. Wir schauen auf die "Geburtsstunde" des Blockbusters und des Melodrams.
Wir arbeiten mit dem Werk, ohne das es Filme wie "Vom Winde verweht", "Fackeln im Sturm" oder "Django Unchained" vermutlich nicht gegeben hätte, und tauchen ein in eine uns völlig fremdgewordene Art des Films, der nicht nur in seiner Darstellung von Geschichte, sondern auch für die Filmtechnik wahre Pionierarbeit geleistet hat.

  • Geburt einer Nation (orig. The Birth of a Nation, 1915, ca. 165 min., Regie: D. W. Griffith, FSK 0)
  • Christoph Mauch, Bürgerkrieg und Sklaverei, in: Dossier USA, bpb 10.10.2008, http://www.bpb.de/internationales/amerika/usa/10595/buergerkrieg-und-sklaverei?p=all
  • "Sklaverei in den Vereinigten Staaten" und "Sezessionskrieg", in: Wikipedia, http://de.wikipedia.org
Triumph des Willens

Hitler

"Charisma ist die Kunst, andere zu verzaubern. Charisma und Motivation hängen eng zusammen" (N. B. Enkelmann, Persönlichkeitstrainer).
Charisma als besondere Ausstrahlungskraft eines Menschen ist uns allen geläufig - das "gewisse Etwas", das nur wenigen zu eigen ist. Der Soziologe Max Weber hingegen bezeichnete Charisma als "DIE große revolutionäre Macht in traditionell gebundenen Epochen". Die Macht des Charismas sei so groß, dass es eine Veränderung der Lebensumstände einer ganzen Gesellschaft von Innen her bewirken könne!
Dann war Adolf Hitler also eigentlich ein ganz charismatischer Typ?
Und was interessiert das den Historiker? Er kann z.B. durch die Analyse von Herrscherpersönlichkeiten überprüfen, inwiefern Weber Recht zu geben ist. Genau das tun wir in dieser Sitzung und betrachten Adolf Hitler jenseits der üblichen Betrachtungsweisen.

  • Triumph des Willens (1935, ca. 114 min., Regie: Leni Riefenstahl, FSK ungeprüft)
  • Frank Möller: Zur Theorie des charismatischen Führers im modernen Nationalstaat, in: Charismatische Führer der deutschen Nation, hg. von F.M., München 2004, 1-18
Das Drama von Dresden

Augenzeugenschaft

Welche Rolle spielen Augenzeugenberichte für unsere Wahrnehmung von "Wirklichkeit" in Geschichtsdokumentationen und wie beeinflussen sie unsere Geschichtsbilder? Und warum spielt der Augenzeuge als Inbegriff der Authentizität überhaupt eine solch große Rolle, wenn doch seine Aussagen den Erkenntnissen von Historikern nicht selten vollkommen widersprechen? Am Beispiel der angeblichen Zivilistenjagd von Tieffliegern bei der Bombardierung Dresdens am Ende des Zweiten Weltkrieges wollen wir der Funktion des Mythos Augenzeugenschaft auf den Grund gehen.

  • Das Drama von Dresden (aus der Reihe "Schauplätze der Geschichte" von Guido Knopp) (2005, Regie: Sebastian Dehnhardt)
  • Mathias Berek: Kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Erinnerungskulturen, Wiesbaden 2009 (Auszüge)
Saving Private Ryan

Der gute Soldat

Es knallt gewaltig in Hollywood. So gewaltig, dass ein Film bei tausenden Kriegsveteranen traumatische Schocks auslöste.
Der Film - "Saving Private Ryan" - ist längst zu einem Klassiker des modernen Hollywoodkriegsfilms geworden. Die heldenhafte Mission einer kleinen Gruppe US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg ist nicht nur zum Kassenschlager geworden, sie prägte auch das moderne Bild des (Film-) Kriegshelden und brachte dem Regisseur die "Medal for Distinguished Public Service" - die höchste zivile Auszeichnung des US Verteidigungsministeriums - ein.

  • Der Soldat James Ryan (orig. Saving Private Ryan, 1998, ca. 169 min., Regie: Steven Spielberg, FSK 16)
  • Il-Tschung Lim: Die Spionage, der Krieg und das Virus. Populäres Globalisierungswissen im zeitgenössischen Hollywood-Kino, München 2012 (Asuzüge)
Bourne Identity

Der Spion

Die Figur des Spions ist ein Kind des Kalten Krieges. In diesem System gibt es eine klare Grenze, die "das Reich des Guten und Bösen, die 'freie' Welt vom 'totalitären' Kommunismus oder aber das Paradies der Arbeiter und Bauern von der Dekadenz des kriegslüsternen Kapitalismus trennt" (Horn) - und der Spion überschreitet diese Grenze.
Seit dem Ende des Kalten Krieges gibt es aber keinen eindeutig bestimmbaren Feind mehr. Wie verändert das den Mythos vom Spion und wie sieht die Figur des Spions im zeitgenössischen Film aus? Diesen "aktualisierten" Spion, seine Position in der Gesellschaft und den Aufbau seiner Figur untersuchen wir anhand der "Bourne Identität".

  • Die Bourne Identität (orig. The Bourne Identity, 2002, ca. 119 min, Regie: Doug Liman, FSK 12)
  • Eva Horn: Der Spion, in: Grenzverletzer. Von Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten, hg. von E.H. u.a. (Copyrights 6), Berlin 2002, 136-155
In the Land of Blood and Honey

Ethnische Identität

Ich bin Deutscher, du Chinese und sie Türkin. Gut zu wissen! Oder?
Was macht eigentlich eine Volkszugehörigkeit aus und wem nützt sie? Ist Staatsbürgerschaft gleich ethnische Identität, ist diese genetisch bedingt oder sozial konstruiert?
Am Beispiel der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina wollen wir dem Mythos ethnischer Identität auf den Grund gehen. Knapp 50 Jahre hatten dort Bosniaken, Kroaten und Serben scheinbar friedlich und gemäß dem sozialistischen Motto "Brüderlichkeit und Einheit" gelebt, bevor die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre das Land zerrissen und gegenseitiges Misstrauen und Abneigung hervorbrachten.

  • In the Land of Blood and Honey (2011, ca. 127 min., Regie: Angelina Jolie, FSK 16)
  • Martin Altmeyer: Im Spiegel des Anderen. Gruppe, Narzissmus, Gruppennarzissmus, in: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik 47 (2011) (Auszüge)
  • Srdan Puhalo: Ethnische Distanz und (Auto-)Stereotypen der Bürger Bosnien und Herzegowinas, Sarajevo 2009 (Auszüge)
  • John A. Cuddon: Jugoslawien. Ein Führer, Passau 3. Aufl. 1977 (Auszüge)
Barthes Mythen des Alltags

Barthes

  • Roland Barthes, Mythen des Alltags, Neudruck [übers. v. Horst Brühmann], 2. Aufl., Berlin 2013 [orig. 1957] (Auszüge)

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