hsaka 2023: Grenzen (in) der Geschichte

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Grenzen (in) der Geschichte

Grenzen sind notwendig für die Konstruktion von Identität. Individuen, Gruppen oder Gebiete werden auch durch ihre Abgrenzung vom "Anderen" definiert. Solche Prozesse der Abgrenzung sind jedoch häufig von Konflikten begleitet und führen zu zahlreichen Krisen.

Welche Legitimität haben Grenzen, die von den einen errichtet, von anderen aber nicht akzeptiert werden? Woran sollten sich Staatsgrenzen heute ausrichten – Kultur, Sprache, Identität, Weltanschauung, Machtverhältnisse? Inwiefern prägen unsere Vorstellungen von Grenzen auch unsere Wahrnehmung der Welt?
Auch das Konzept „Geschichte“ kommt mitunter an seine (Erkenntnis-)Grenzen. Was unterscheidet die Geschichtswissenschaft von anderen Disziplinen? Inwiefern ist die Einteilung der Vergangenheit in voneinander abzugrenzende Epochen sinnvoll? Was sagen rückblickende Periodisierungen über unsere Gegenwart aus?

Im Kurs werden wir aus unterschiedlichen Perspektiven auf verschiedene Arten von Grenzen in Vergangenheit und Gegenwart blicken, uns mit Konzepten der Grenzüberschreitung auseinandersetzen und die konventionellen Grenzziehungen (in) der Geschichte hinterfragen.

​Identität und Abgrenzung vom "Anderen". Nationen als Selbstimaginierung

Nach dem zweiten Weltkrieg entstehen zwei deutsche Staaten. Die DDR und die BRD. Die DDR ist das Land des schuldlosen Volkes, der Opfer und der Wiederständigen des dritten Reiches. Sie haben schon im Krieg für das gekämpft, was nun Realität in der DDR ist: Frieden und Antifaschismus. Die benachbarte BRD hingegen ist die Fortsetzung des Dritten Reiches, wo immer noch ehemalige Nazis ein Volk von Tätern und Schuldigen regieren. – Von welchem System wärst du lieber Teil: DDR oder BRD?

Diese „Gründungslegende der DDR“ ist vielleicht nicht wahr, aber wirkungsvoll und identitätsstiftend. Dieses „Märchen“ ist eine von zahlreichen „invented traditions“, derer sich die SED bediente. Sie sollten eine Verbindung zur deutschen Vergangenheit schaffen, aber auch die eigene, „sozialistische nationale Identität“ der DDR attraktiv machen. Das war nötig, denn die Regierung der DDR hatte fundamentale Legitimationsprobleme, die schnell zur politischen Herausforderung geworden waren. Diese Probleme aufzulösen, gestaltete sich besonders schwierig, denn der neue Staat hatte keine Vergangenheit, der seine Existenz legitimieren konnte. Doch erfundene Vergangenheit und Tradition allein reichten nicht aus, und so bemühte die SED zusätzlich die betonte Abgrenzung „vom Westen“, um nationale Emotionen zu mobilisieren. Auch Abgrenzung stiftet Legitimation und Identität, schließlich gibt es dort, wo es „die Anderen“ gibt, auch ein „Wir“.

Legitimation, Abgrenzung und Identität bedingen sich jeweils gegenseitig und hängen auf komplexe Weise miteinander zusammen. Anhand von Beispielen aus der DDR werden wir uns der Frage widmen, in welchem Verhältnis diese Aspekte zueinanderstehen. Auch mit Blick auf die Konstruktion heutiger Identitätskonzepte ist das interessant: Denn auch da, wo „Deutschland den Deutschen“ gerufen wird, legitimiert sich eine Gruppe durch ihre Identität, die wiederum auf Abgrenzung beruht. Oder ist die Abgrenzung gegenüber „dem Anderen“ vielmehr die Legitimation für die Identität, „deutsch zu sein“?

[Bild: https://www.hdg.de/lemo/bestand/objekt/plakat-v-parteitag-der-sed.html]

​Die endlose Frage nach Europa

Die Grenzen Europas zu ziehen, ist keine rein geografische Übung, sondern gefüllt mit politischem und kulturellem Zündstoff: Wer kann Mitglied der EU werden, wer ist beim ESC antrittsberechtigt und wer kann der UEFA beitreten? Auf diese Fragen könnte man einfach antworten: „Natürlich die Europäer*innen.“ Uns als Historiker*innen stellen sich daher die Fragen, wie und warum die Vorstellungen von einer europäischen Identität eigentlich entstanden sind.

Zusammen wollen wir anhand gemeinsam ausgewählter historischer Beispiele diesen Fragen auf den Grund gehen. Wir wollen herausfinden, wie genau die Vorstellungen von „Europa“ entstanden sind, wie sie sich gewandelt haben und wieso es mehr als ein „Europa“ und viele verschiedene, teilweise widersprüchliche europäische Identitäten gibt. Dafür werden wir bspw. Quellenmaterial analysieren und die verschiedenen Ideen von „Europa“ herausarbeiten und miteinander vergleichen.

Wenn Du Dich also dafür interessierst, wie historische Umstände europäische Identitäten (zum Teil bis heute) beeinflusst und gewandelt haben und verstehen willst, wieso die Perspektive, mit denen verschiedenen Menschen Europa betrachten, dazu führt, dass „Europa“ ganz unterschiedliche Bedeutungen haben kann, dann ist dieses Thema das richtige für Dich.

[Bild: FotoshopTofs auf Pixabay]

Epochengrenzen. Zur Bedeutung rückblickender Periodisierungen für ihre Gegenwart

Wann begann eigentlich das Mittelalter? Etwa 313, als Konstantin I. das Toleranzedikt für das Christentum erließ? Im Jahr 476, als Romulus Augustulus, letzter Kaiser des Weströmischen Reiches, abgesetzt wurde? Oder doch 632, das den Beginn der Islamischen Expansion markiert? Falsch! Das Mittelalter begann Ende des 14. Jh. mit seiner Konstruktion durch italienische Renaissance-Humanisten. Und wann endete das Mittelalter? Richtig, Du hast es dir bereits gedacht: Es wird auch heute noch von uns aufrecht erhalten!

Epochengrenzen sind menschengemacht. Das medium aevum wurde erschaffen, um die frisch begründete humanistische Renaissance-Epoche von jenem „dunklen" Zeitabschnitt des „Zerfalls“ abzugrenzen sowie diesen wiederum von der „wiederentdeckten“ Antike der Heroen und Philosophen. Die Epocheneinteilung wird dann interessant, wenn man erkennt, dass das Mittelalter damit nicht nur einer zeitlichen Begrenzung unterliegt, sondern Bedeutung bekommt: Ereignisse, Persönlichkeiten, Errungenschaften und Charakteristika werden ein- oder ausgegrenzt. Derlei Bewertungen der Vergangenheit sagen weniger über die "vergangene" Zeit aus, als sie über die Gesellschaft der jeweiligen "Gegenwart" verraten!

Mithilfe der Fragen nach Anfang und Ende werden wir bei der Untersuchung rückblickender Epochenkonstruktionen aufschlüsseln, inwiefern diese Geschichte interpretieren und unsere Ansichten über Gut und Schlecht, über Fortschritt und Rückschritt offenlegen. Wir werden erkennen, wie sie unsere Machtstrukturen widerspiegeln und Gegenwärtiges legitimieren oder relativieren. Und wir werden untersuchen, wie wir durch die Verwendung von Epochengrenzen auch heute noch nachhaltig beeinflusst werden.

[Bilder: Public Domain]

​Leben am Limit. Zu den Grenzen menschlicher Belastbarkeit


Schneller, stärker, besser sein - jeder kennt diese Wünsche, und vielleicht auch die damit verbundenen Anstrengungen: zu lernen, um bei einer Klausur besser abzuschneiden, Sport zu machen, um Muskeln aufzubauen, oder regelmäßig joggen zu gehen, um die gleiche Strecke in einer immer kürzeren Zeit laufen zu können. Besonders Spitzensportler*innen opfern viel, um in ihrer Sportart Erfolg zu haben. Sie opfern Zeit, bei vielen Sportarten sogar ihre Gesundheit dem Spitzensport. Doch wie weit darf man dabei eigentlich gehen?

Wie weit gingen historische Personen, um ihre persönlichen Grenzen zu erreichen – oder diese sogar zu überschreiten? Wo ist das Limit? Es gibt viele Wege, auf denen Sportler*innen versuchen, ihre Leistung zu steigern: intensives Training, die richtige Ernährung, Eisbäder, Höhentraining und noch vieles mehr – vielleicht auch Doping. Doping ist uns allen ein Begriff - einer, der negative Assoziationen weckt. Menschen, die beim Doping erwischt werden, müssen nicht nur mit Sperren in ihrer Sportart rechnen sondern auch mit karrierezerstörender Kritik aus der Öffentlichkeit. Warum entschieden (und entscheiden) sich Sportler*innen zu so einem riskanten Vorgehen?

Wir werden uns im Kurs mit der Geschichte des Dopings befassen und uns ansehen, was zu welchen Zeiten überhaupt als Doping betrachtet wurde. Wir werden uns mit historischen Personen beschäftigen, die zu unterschiedlichen Zeiten versucht hjaben, ihre Grenzen zu überschreiten. Thematisieren werden wir dabei leistungssteigernde Mittel des Altertums, Doping in der DDR, Menschen, die an Doping starben und noch vieles mehr.

[Bild: drobotdean auf Freepik]

​Wo der Spaß aufhört. Über die politische Relevanz des Humors

Warum sind Memes lustig? Sind die Memes mit Putin in Make-Up oder einem Einhorn-Outfit moderne Karikaturen? Wieso finden wir Boomer-Memes nicht so lustig wie unsere Eltern und Großeltern? Und wieso werden Humor und vor allem Satire immer erst dann zu einem öffentlichen Thema, wenn dabei die Grenzen des Akzeptablen überschritten werden?

Humoristische Bilder begegnen uns im Alltag überall und meistens denken wir nicht darüber nach, wieso wir eigentlich ein Bild lustig ist - oder eben nicht. Wir hinterfragen auch in der Regel nicht, wieso sich Humor zwischen Generationen teilweise so sehr unterscheidet. Diese Generationsunterschiede zeigen aber, dass sich die Wahrnehmung von „lustig“ und “unlustig“ mit der Zeit verändert und daher auch historisch untersucht werden kann. In der Schule analysieren wir historische Karikaturen in der Regel nur auf ihre politische Aussagekraft. Dabei können diese Bilder auch darauf untersucht werden, in welchen gesellschaftlichen Grenzen sich Humor und Satire zu einer bestimmten Zeit bewegt haben und wann Bilder diese Grenzen auch mal überschritten haben.

Auf den Grundlagen der Humortheorie wollen wir uns historische Karikaturen aus einem neuen Blickwinkel ansehen, analysieren und mit Memes vergleichen. Was hat diese Bilder zu ihrer Zeit lustig gemacht? In welchen gesellschaftlich akzeptablen Grenzen hat sich Humor in der Vergangenheit bewegt? Diese Grundlagen und die Anwendung auf historische Beispiele können helfen, auch aktuelle Satire und Bildhumor anders (und besser) zu verstehen und einzuordnen.

[Bilder: Public Domain (Dropping the Pilot); Meme nach §51a UrhG]