WS 2021 / 2022
Diese Rückbindung des Konfessionsbegriffs an ein schriftliches christliches Bekenntnis und an eine bestimmte Gesellschaftsformation kann erklären, warum der Konfessionsbegriff für vorreformatorische Epochen, außereuropäische Christentümer und nichtchristliche Religionen kaum Verwendung findet. Für die europäische Frühneuzeit scheint der Begriff der Konfession also geklärt, für andere Zeiten und Räume gilt er gerade deswegen als ungeeignet.
Dennoch könnte es sich lohnen, das Konzept der Konfessionen auf den Prüfstand zu stellen. Zum einen kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Christentum in allen Phasen und Regionen eine Vielfalt an Strömungen aufwies, die mal als eigene Kirchen (z.B. Koptische Kirche), mal nach ihrer hierarchischen Verfassung etwa als Patriarchat, mal neutral als Denomination bezeichnet werden. Was diese Einheiten jeweils konstituierte, wie die Akteure selbst Grenzen zogen und Zugehörigkeit begriffen, welche Rolle hierbei Bekenntnisschriften, aber auch andere Faktoren spielten, wie sich diese religiösen Gruppenbildungen in der historischen Rückschau rekonstruieren und wie sie sich terminologisch auf den Begriff bringen lassen, soll im Rahmen der Vorlesungsreihe anhand verschiedener Konstellationen aus dem Feld der mittelalterlichen und außereuropäischen Geschichte diskutiert werden. Zu fragen wird dabei auch sein, ob sich der Konfessionsbegriff vielleicht doch schon vor oder jenseits der Reformation sinnvoll anwenden lässt. Vor allem aber ist zu klären, welche Alternativen zum Konfessionsbegriff jeweils benutzt werden und welche Implikationen diese Begriffe für die Erforschung vormoderner Christentümer haben.
Zum anderen erhebt sich auch bei den Konfessionen der Frühen Neuzeit die grundlegende Frage, inwieweit diese Kategorien die religiöse Identität frühneuzeitlicher Akteure tatsächlich erfassen. Handelt es sich bei den Konfessionen also um Grenzziehungen, die auch die Zeitgenossen geteilt hätten, oder haben wir es mit nachträglich gezimmerten Containern zu tun, in die spätere Betrachter die Menschen des frühneuzeitlichen Europa einsortierten? Zu klären wird also sein, wie die Akteure im sogenannten konfessionellen Zeitalter ihre religiöse Identität begriffen. Woran machten sie die Zugehörigkeit zu einer Konfession fest? Mit welchen Praktiken stellten sie diese Zugehörigkeit oder Konfessionalität her und dar? Welche Rolle spielte dabei die Confessio, welche Bedeutung kam anderen Faktoren zu? Welche sozialen Folgen hatte der Ein- bzw. Ausschluss aus der konfessionellen Gruppe? Und wie steht es mit religiösen Gruppenbildungen innerhalb oder quer zu den Konfessionen?
Insgesamt möchte die Vortragsreihe auf der terminologischen Ebene den Begriff der Konfessionen und seine Implikationen für die historische Forschung präziser bestimmen sowie mögliche konzeptionelle Alternativen und deren Folgen beleuchten. Zugleich soll es in der kritischen Auseinandersetzung mit den eingeführten Begriffen gelingen, das Phänomen religiöser Gruppenbildung aus der Sicht der historischen Akteure zu rekonstruieren. Um auch etablierte Vorannahmen auf den Prüfstand zu stellen, geht die Vorlesungsreihe von einigen sehr offenen Ausgangsfragen aus: Wie – und von wem – wurden christliche Gemeinschaften identifiziert, definiert und abgegrenzt? Welche Rolle spielten hierbei Dogma und Praktiken, Hierarchien und Verfahren, Texte und Objekte? Wie behandelten die historischen Akteure die Zugehörigkeit zu einer Konfession oder religiösen Gruppe in ihren Selbst- und Fremdbeschreibungen? Wie veränderte sich die Sicht späterer Betrachter auf Konfession und Konfessionalität? Und welchen Nutzen haben diese Begriffe für die Erforschung vormoderner Christentümer?
Although the process of confessionalization is often considered a western phenomenon intrinsically linked to the Reformation and the process of nation state building in the early modern period, it was not unknown among the Oriental Orthodox Churches of pre-modernity. The emergence of a confessional identity for the Armenian Apostolic Church may provide the best such example as it has led scholars to declare it a “national church" whose boundaries were fixed during the incorporation of Armenia within the Islamic Caliphate. This talk will discuss, and challenge, some of the factors that led to the formation of Armenian Christian confessional identities, and will highlight the role of Armenian interaction with the Roman Catholic Church in the evolving and fluid process of confessionalization. It will further examine the tensions that emerged between confessionalization and state building with the founding of the Kingdom of Cilicia. Finally, it will argue that while “confessional identity" was important particularly among the ecclesiastical hierarchy, that identity was not monolithic or static, nor did it necessarily encompass the majority of “Armenian believers". Confessional identity, then, is better conceived of in the plural, “confessional identities," whose definition was contested.
Konzepte der Konfessionalisierung gehen aus romzentrischen und eurozentrischen Geschichtsmodellen hervor, wie sie sich seit dem Ende des oströmischen Reiches im Jahr 1453 allmählich in den Regionen der lateinischen Tradition gebildet haben. Das seit dieser Zeit entstehende Narrativ rückte die weströmische, lateinische Kirche allein ins Zentrum und blendete alle anderen Kirchen aus. So erscheint die Konfessionalisierung des 16. Jahrhundert als das Ende einer Einheit. Der Mythos der Einheit wird von Mediävistinnen und Mediävisten schon länger kritisiert. Bisher ist es dennoch nicht gelungen, die Kirchen in Kaukasus, Afrika und Asien in einem neuen historischen Modell zu integrieren. Dieser Vortrag möchte sich in die Diskussion einbringen, indem er einmal mehr auf die Vielfalt der Kirchen im Mittelalter aufmerksam macht. Er führt in das polyzentrische System der mittelalterlichen Kirchen ein und fragt nach der Rolle des Bekenntnisses und der weltlichen Herrschaft. Am Beispiel der syrisch-orthodoxen Kirche im ersten Zeitalter der ökumenischen Bewegung (11. – 13. Jahrhundert) wird das Bekenntnis mit anderen Identitätskonzepten in Beziehung gesetzt, um es weiter zu gewichten.
Vor dem Hintergrund neuerer Forschungen zu religiösem Dissens untersucht der Vortrag historische Akteure im frühneuzeitlichen Europa, die sich dem ordnenden Zugriff territorial verankerter Kirchentümer entzogen. Wenig scheint gewonnen, wenn man von Sekten oder Devianz spricht, handelte es sich doch um von ihrer eigenen Rechtgläubigkeit überzeugte Menschen, die gemeinschaftlich an christliche Traditionen anknüpften. Glaubenspraktiken und Mechanismen sozialer Verortung spielten dabei ineinander – und dennoch ließen und lassen sie sich nicht (ausschließlich) einer der sogenannten Konfessionskirchen zuordnen. Zuweilen bemühten sie sich sogar angelegentlich, die Spaltung des Christentums zu überwinden.
Der differenzierende Blick auf die Bedeutung von vielfältigen Unterscheidungspraktiken im religiösen Feld und auf mögliche Ambiguitäten scheint geradezu nötig, um ideologische Engführungen nationaler und konfessioneller Historiographien zu überwinden. Die Historisierung von Zuschreibungsprozessen ermöglicht es, die ursprüngliche Offenheit historischer Situationen zu rekonstruieren. Auch lassen sich in dieser Re-Lektüre gängige Säkularisierungsnarrative hinterfragen.
SS 2021
Between April and June 2021, the Frankfurt Lectures on Pathways through Early Modern Christianities will virtually bring together a global community of scholars and students to discuss the fascinating nature of early modern religious life. This year' s lectures will focus on the analytical keys that structure this field: from tolerance to generations, uniformity to publicity. 10 pathbreaking scholars will reflect on a single concept that they have developed, fine-tuned, or embraced in their scholarship. Together, these lectures will help us reflect on how much we have now learned about early modern Christianities in their interconnected global context-and what exciting new travels could lie ahead.
The notion of "local religion" as a specific academic concept in English found one of its earliest and most articulate expressions in William Christian's 1981 book Local Religion in Sixteenth Century Spain. Christian's work drew on his own sociological and anthropological research in the Iberian countryside during the late 1960s and early 1970s, but his thinking was also nourished by his reading of European scholarship. He found that it was often in the countryside that traditional religious ideas and practices from the medieval and early modern periods survived the longest. In Christian's wake, scholars have increasingly focused their attention on the social and ritual life of Christian communities across the globe. What was true for post-war Spain also applies to modern China. This talk offers an assessment of recent work on Christianity as a "local religion" in late imperial China (1550-1850 ).
Recent scholarship on intra-Catholic controversies in the early modern period has turned from intellectual history towards social and cultural approaches. Yet while the Habermasian notion of Öffentlichkeit fails to capture the specificity of early modern religious controversies, finding a new analytical framework for understanding the nature of publicity remains difficult. In this talk, building on the work of Michel de Certeau and Christian J ouhaud, I will argue that we can better explain the shifting sands of Catholic controversy by treating publication as action. This approach promises to reveal more clearly the processes of politicization (even ideologization) that shaped early modern Catholic confessional cultures-while also connecting cultural and religious histories. Illuminating the ways in which particular regimes of publicity formed and were formed, in turn, by a range of ecclesial communities, treating publication as action offers scholars new ways of understanding Catholic plurality over time and space.