Dr. Christoph Franzen

Gestalt als Argument in der politischen Kommunikation der Zwischenkriegszeit

Eine politische Sprache ist selten nur politische Sprache. Ihre Elemente und auch ihre Strukturen sind meist in anderen Lebensbereichen vorgeformt und dann in sie importiert. Zur Bestimmung der Charakteristika einer politischen Sprache ist es daher erforderlich, die Möglichkeiten, die solche Strukturen aus ihrer ursprünglichen Verwendung "mitbringen", zu kennen und zu prüfen, welche davon sich im politischen Gebrauch aktualisieren. Dieses Projekt soll daher die Verwendung eines bestimmten Argumentationsstiles, des morphologischen, der in die politische Kommunikation der Zwischenkriegszeit raschen Eingang fand, im wissenschaftlichen Bereich - seiner ursprünglichen "Heimat" - und in der Politik untersuchen.

Nicht nur ihre Elemente prägen eine politische Sprache, sondern auch ihre Zusammenhänge und Verknüpfungsmöglichkeiten, gewissermaßen ihre Grammatik. Das gilt besonders auch für die Frage, wo die Rede enden kann, wo scheinbar unumstößlich evidente Grundbehauptungen erreicht sind und wie man von ihnen aus argumentieren darf. Während Veränderungen dieser Struktur in der Regel schleichend vor sich gehen, gibt es Einbrüche in diesen Formationsprozeß in Momenten, die das politische Selbstverständnis einer Kommunikationsgemeinschaft grundlegend in Frage stellen.

Für Deutschland, Österreich und Italien war der Ausgang des Ersten Weltkriegs ein solcher Einschnitt. Eine fast verzweifelte Suche nach neuen Gewißheiten begann. In dieses Vakuum strömten nicht zuletzt "morphologische", "Gestalt", "Ganzheit" und organismische Verfassung betonende Argumentationsmuster, die Anschaulichkeit mit scheinbarer wissenschaftlicher Absicherung verbanden. Auch wenn sie sich zur Rechtfertigung undemokratischer Staats- und Gesellschaftsauffassungen besonders leicht heranziehen ließen, ist die pauschale Beurteilung ihrer Vertreter als Wegbereiter des Nationalsozialismus und Faschismus irreführend und versperrt den Blick auf die zahlreichen Fälle, in denen solche Muster von ihren wissenschaftlichen wie politischen Vertretern zur Legitimation ganz anders gearteter Konzeptionen verwendet wurden. Ihre weite Rezeption legt vielmehr nahe, daß die Sprache dieser Begründungsmuster und Metaphern die politischen Gruppierungen überspannte und somit zu einer zeitspezifischen, aber lagerübergreifenden Kommunikation beitrug, die nicht zuletzt eine Voraussetzung für die Wählerwanderungen dieser Zeit war.

Dazu werden in diesem Projekt die spezifischen Argumentationsweisen insbesondere der interdisziplinär arbeitenden Frankfurter Kulturmorphologen und der Gestaltpsychologen der Berliner Schule und deren Reflexionen in den politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit untersucht.

Derzeitige Tätigkeit:

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in Berlin.

Kontakt

Dr. Christoph Franzen
cfranzen@em.uni-frankfurt.de