Das Forschungsprojekt stellt sich die Aufgabe, die während des politischen Aufstiegs der Familie Visconti von ihr verwendete Sprache eingehend zu untersuchen. In welcher Weise trug der strategische Einsatz dieser Sprache zum Aufbau und der Legitimierung ihrer Macht bei, mittels derer die Visconti im Verlaufe eines Jahrhunderts Mailand zu einem lombardischen "Regional"-Staat machten?
Deutsche wie französische Geschichtsforschung haben bereits seit geraumer Zeit begonnen zu untersuchen, welche Strategien der Machtentfaltung und -Legitimation mit dem Einsatz von Sprache verbunden sind, und sie haben sich hierbei auch intensiv mit der Untersuchung von Arengen kaiserlicher Urkunden sowie Präambeln königlicher Erlasse befasst. Demgegenüber hat die italienische Geschichtsforschung ihr Augenmerk bisher auf den normativen Gehalt der Erlasse von mächtigen Herren und Herrschern gelegt, und diese Texte stärker innerhalb des Systems juristischer Quellentexte eingeordnet, als die verwendete Sprache dahingehend zu untersuchen, wie die Herrscher in den Präambeln ihrer Erlasse diese Sprache zur Etablierung und Legitimierung ihrer eigenen Rolle einsetzen. Erst in den letzten Jahren hat die italienische Spätmittelalter-Forschung sich wieder intensiver mit der Sprache selbst beschäftigt. Hierbei geht es nicht mehr vorrangig um die Untersuchung der Sprache einer einzelnen historischen Figur, als vielmehr um den vielstimmigen Chor derer, die innerhalb des Regionalstaats versuchen, ihr politisches Handeln zu legitimieren; es interessiert darin also primär die Sprache als Ausdruck eines dichten Dialogs unter Gesprächsteilnehmern, die in der Lage sind Argumentationsweisen gemeinschaftlicher politisch-kultureller Modelle mehr oder minder nachzuvollziehen und zu vertreten - wenn auch nur, um sich allmählich davon zu entfernen.
Die Absichten des dominus-princeps sind keineswegs scharf abgegrenzt gegenüber einer dialogischen Struktur, die sowohl von der Zuhörerschaft beeinflusst ist, für die die Präambeln bestimmt sind, als auch von der politischen Kultur, die das kommunikative Gefüge zwischen Protagonisten und Adressaten bildet. Dies ist auch der Grund für die enorm hohe Durchlässigkeit der von der Visconti-Kanzlei verwendeten Sprache für Elemente einer von der Zuhörerschaft geteilten politischen Rhetorik, in der Übereinstimmungen mit zeitgenössischen philosophisch-theologischen, juristischen oder homiletischen Texten anklingen, und die ihre Wurzeln in der bereits von Artifoni untersuchten kommunalen Tradition hat.
Das Forschungsprojekt beabsichtigt eine systematische Untersuchung der heute erhaltenen Sammlung von Verfügungen aus der Feder der Visconti-Kanzlei (viele Dokumente sind über diverse Archive und Bibliotheken in Mailand und Pavia verstreut). Zielsetzung hierbei ist, die Argumentationen, derer sich die Kanzlei bei der Präsentation von Verfügungen der Herrscher und Herzöge von Mailand bedienten, hinsichtlich der darin vorfindbaren kulturellen Matrix (philosophische, theologische, zivil- und kirchenrechtliche Texte) zu analysieren: Die Verteidigung des Gemeinguts als Erbe der kommunalen juristisch-politischen Kultur, die göttliche Rolle des dominus, deren philosophisch-theologische Begründung bereits von Luchino aufgegriffen wird, der ulpianische Gerechtigkeitsbegriff, den Galeazzo II. sich zu Eigen macht, das Territorialitätsprinzip, dessen städtisch-kommunale Matrix von Gian Galeazzo bereits als Mitregent, doch dann vor allem als allein regierender Herzog aufgegriffen und regional umgedeutet wird; dies sind einige der Elemente, die von Azzo bis hin zu Filippo Maria nach und nach aufgegriffen und in die Visconti-Rhetorik eingebaut werden.
Schließlich soll auch versucht werden, möglichst viele der historischen Personen zu bestimmen, die auf Grund ihres kulturellen Hintergrunds und des Vertrauens, das sie bei den Herren und Herrschern der Visconti genossen, die sprachliche Übersetzung der wachsenden politischen Ambitionen der Visconti übernahmen.
Derzeitige Tätigkeit:
Post-Doc-Forschungsstipendiatin (Assegno di ricerca) der Universität Pavia.