Das Projekt ist im Bereich der Wissensgeschichte angesiedelt und untersucht Praktiken der historiographischen Selbst- und Fremdinszenierung innerhalb nachtridentinischer Katholizismen (1665–1735). Es fokussiert vor allem auf das Ringen um die Durchsetzung der jeweils eigenen geschichtlichen „Wahrheit“ innerhalb ein und desselben Denkkollektivs (Ludwik Fleck), das den Anspruch erhob, weder diskursive Polemik noch Dissens zu erlauben, sondern stets Universalität und Einheit nach innen wie außen kommunizierte. Für die Studie wird der gelehrte Streit zwischen Konfrontation, Dissimulation und Anpassung im gleichen Maße wie die Bürokratisierung der Kontrollmechanismen durch die Kurie in den Blick genommen.
Dass Geschichte mehr war als erklärendes Beiwerk in den theologischen Debatten frühneuzeitlicher Konfessionskulturen geriet erst in den letzten dreißig Jahren ins Blickfeld der internationalen Forschung. Ausgehend von der Selbständigkeit der Geschichtsschreibung als „gelehrtes Tun“ (Sawilla) wird vorausgesetzt, dass die damit einhergehende Professionalisierung der Gelehrten einen Expertenhabitus generierte, der sich an dem vom nachtridentinischen Rom propagierten Einheits- und Universalitätsnarrativ rieb. Die These ist, dass sich auch über die Geschichtsschreibung eine Vielzahl von Katholizismen und wie auch immer verstandene katholischen Identitäten im Europa des späten 17. Jahrhunderts ausbreiteten. Die auf Zentralisierung bedachte Kurie in Rom konnte ihnen jedoch weniger durch harte Durchsetzung, sondern eher durch die Inszenierung von Einheitlichkeit und die Verschleierung von Divergenzen Einhalt gewähren. Historiographische Werke erfreuten sich einer großen Leserzahl und wurden nicht nur im hermetisch geschlossenen Kreis der Gelehrten diskutiert, wie es bei vielen naturwissenschaftlichen Arbeiten der Fall gewesen war. Indem sie sich stets zwischen Kritik und Beweis der jeweiligen Wahrheit eines bestimmten Ereignisses, der evozierten Quellen und ihres faktischen Nachweises bewegten, entwickelten frühneuzeitliche Historiographen einen durch ihr Wissen gestützten Auslegungsanspruch, den sie habituell inkorporierten und der sie in ihrem Widerstand gegen die Kurie, gegen ihre Zensurinstanzen und gegen die von ihr eingeforderte Dogmentreue stärkte.
Das Projekt ist in drei großen Abschnitten gegliedert:
(1) Der erste Abschnitt fokussiert auf die Handlungsräume römischer Dikasterien in Anbetracht der als häretisch gebrandmarkten Varianten innerhalb der katholischen Geschichtsschreibung. Dieses Kapitel stellt des Weiteren die Frage nach der politischen und religiösen Relevanz, die den Büchern jeweils von der Obrigkeit und den zeitgenössischen gelehrten Instanzen wie beispielsweise Zeitschriften beigemessen wurde. Der Schwerpunkt liegt hier maßgeblich auf der Breitenwirkung der untersuchten Bücher. Dabei werden die unterschiedlichen Lesendengruppen ausschließlich aus römischer Perspektive, und zwar als zu schützende, zu disziplinierende, zu kontrollierende Gläubige betrachtet. Davon ausgehend wird die Rolle der Kurie beim propagandistischen Wettstreit mit anderen katholischen Obrigkeiten untersucht. So gesehen, wirkt die Anwendung der Zensur unter Berücksichtigung ihrer göttlichen Dimension fast wie ein unlauteres Instrument des Papstes im Kampf um die Gunst einer noch sehr diffusen „Öffentlichkeit“.
(2) Die Klammer, die Historiographie und Propaganda zusammenbrachte, war oft der Auftraggeber. Im 17. Jahrhundert hatten alle königlichen Häuser amtliche oder zumindest offiziöse Geschichtsschreiber. Im zweiten Kapitel wird diesem Phänomen in Rom nachgegangen und eine Antwort auf die von der Forschung immer wieder aufgeworfene Frage nach der Abwesenheit einer offiziellen römischen Geschichtsschreibung gegeben. Das Fehlen eines offiziellen Historiographen führte zur Vervielfältigung der Geschichtsbilder in den kurialen Dikasterien. Einerseits geht es hier um die Rolle einzelner Akteure in der Inszenierung einer vermeintlich unabhängigen Geschichtsschreibung, andererseits um die juristische und dogmatische Dimension römischer Handlungsräume, genauer um die Zensur katholischer Historiographie.
(3) Die so aufgeworfene Frage nach dem Zensurverfahren kann aufgrund der breiten Quellenmasse gut beantwortet werden. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung frühneuzeitlicher Zensurverfahren und Professionalisierungs- und Institutionalisierungsprozesse der kurialen Zensur sowie die Beschäftigung der kurialen Amtsleute mit den hochprofessionalisierten Geschichtsschreibern und deren Anspruch auf Deutungshoheit über die Vergangenheit. Abschließend werden die römischen Strategien in den Blick genommen, die es ermöglichten, die spätestens seit dem 16. Jahrhundert stattgefundene Entkoppelung der Geschichte aus ihrer ekklesiologischen Hilfswissenschaftenfunktion zu ignorieren und zu überspielen.Mitherausgeberin der Zeitschrift Lias. Journal of Early Modern Intellectual Culture and its Sources
in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken, Zeitschrift für historische Forschung, Revue d'Histoire Ecclesiastique, Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, Sehepunkte, Historische Zeitschrift, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Theologische Revue, Annuarium Historiae Conciliorum, Frühneuzeit-Info, Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte