Jan Rüdiger:

Bel parler – Vernakulare politische Sprachen in Lateineuropa

Das westliche, das „lateinische“ Europa hat sich mindestens bis ins 13. Jahrhundert durch eine Sprachkultur ausgezeichnet, die von der alten Sprache Roms zutiefst geprägt war. Aber neben dem Lateinischen sind schon vor dem allgemeinen Beginn umfangreicher Textproduktion in den Volkssprachen im Spätmittelalter eine Reihe von Schriftsprachen entstanden, die in den jeweiligen Regionen zu einer komplexeren Sprachsituation führten: Irisch, Angelsächsisch, Nordisch, einige romanische Idiome sowie das Oberdeutsche. Die Untersuchung der politischen Sprache(n) im Mittelalter kann also keinesfalls die ‚Volks´sprachen außer acht lassen, insbesondere da deren Konstituierung als neben dem Lateinischen bestehende zusätzliche Systeme wesentlich ein Anliegen der politisch führenden Milieus gewesen zu sein scheint.
Die mit der Arbeit an den lateinischen Korpora verschränkte Untersuchung der vernakularen politischen Sprachen zielt zunächst auf die Korrespondenzen und (In-)Kongruenzen zwischen den Diskursen ab: Wie formierten sich die politischen Idiome in den nichtlateinischen Sprachkulturen auf lateinischer Basis? Unterschieden sich die Reden über Macht und Ordnung, Konflikt und Konsens signifikant von ihren lateinischen Gegenstücken; wie wurde zwischen ihnen vermittelt und transferiert? Darüberhinaus ist nach der praktischen Dimension der politischen Sprachen zu fragen, sind Gebrauchssituationen und Verwendungsweisen zu untersuchen, um festzustellen, inwieweit das bel parler, der Soziolekt der laikalen Eliten, den politischen Raum in jeweils spezifischer Weise formte.
Der Schwerpunkt des Projektes liegt auf den Zonen ausgeprägter politischer Volkssprachlichkeit im hohen Mittelalter: dem nordwestlichen Mittelmeerbogen, dem anglo-französischen Raum und Nordeuropa.