Die "Krise" der Nationalökonomie in der Weimarer Republik

Förderer: Fritz Thyssen Stiftung

Projektbeginn: 1. September 2004

Bearbeiter: Roman Köster

Projektbeschreibung

Mit Verdikten über die deutsche Nationalökonomie während der Weimarer Republik ist in der volkswirtschaftlichen dogmengeschichtlichen Forschung nicht gespart worden. Ein geringes fachliches Niveau wurde ihr ebenso bescheinigt wie eine angesichts gravierender ökonomischer Krisen geradezu skandalöse Praxisferne, weshalb sie nicht in der Lage gewesen sei, diese Krisen zu erklären und Rezepte zu ihrer Überwindung anzubieten. Die Schärfe solcher Verurteilungen steht jedoch in einem merkwürdigen Kontrast zur Erforschung der deutschen Nationalökonomie zwischen 1918 und 1933, die durch große Forschungslücken gekennzeichnet ist. Das hier vorgestellten Dissertationsprojekts möchte den Gründen nachgehen, warum die deutsche Nationalökonomie nach Ende des Ersten Weltkriegs in eine im folgenden näher zu kennzeichnende Krise geriet und wodurch diese charakterisiert wurde. Es geht nicht darum, im Stil der dogmengeschichtlichen Forschung einen Erkenntnisfortschritt von der "schlechteren" zur "besseren" Theorie darzustellen, sondern es wird der Versuch unternommen, die Geschichte der Disziplin konsequent zu historisieren. Das Ziel ist die historische Rekonstruktion der Krisensemantik der deutschen Nationalökonomie, die sowohl Deutschlands Gesellschaft und Wirtschaft wie sich selbst in einer existentiellen Krise sah. Die Forschungshypothese der Untersuchung geht entsprechend davon aus, daß die institutionelle und semantische Entwicklung der deutschen Nationalökonomie nach dem Ersten Weltkrieg nur verständlich wird, wenn man sie als Folge einer spezifischen historischen Konstellation und als Antwort auf sie versteht.

Um sich dem Problem zu nähern, in welch prekärer Situation sich die deutsche Nationalökonomie nach dem Ersten Weltkrieg befand, muß man ihre besondere Situation vor 1914 betrachten. Dominiert wurde sie bis dahin von der Jüngeren Historischen Schule, die sich auf historische Erkenntnisweisen in Abgrenzung gegen das theoretische Modelldenken der österreichischen Grenznutzenschule stützte, die in Deutschland institutionell erfolgreich ausgegrenzt worden war. Die Perspektive der Jüngeren Historischen Schule war langfristig und geschichtsphilosophisch eingebettet; im evolutionären Institutionalismus eines Gustav Schmoller konnten die "empirischen" wirtschaftlichen Gesetze nur finales Resultat der mit großem Fleiß zusammengetragenen historischen Materialsammlung darstellen. Diese Methoden der Nationalökonomie und ihre Institutionen waren eng mit der Ordnung des Kaiserreichs verbunden, das nach ihrer Ansicht durch die institutionelle Trennung von Gesellschaft und Staat (gestützt auf eine gut ausgebildete Bürokratie) in der Lage war, sukzessive soziale Reformen zu verwirklichen, welche die sozialen Fraktionskämpfe abschwächen und ausgleichen sollten - um so das Schreckensszenario einer Revolution zu verhindern. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs jedoch war der gesellschaftlich-politische Rahmen des Kaiserreichs zerbrochen. Die gesellschaftlich-politische Ordnung war nun kein selbstverständliches Bezugssystem mehr, sondern selbst in die wissenschaftliche Diskussion hineingestellt.

Die aus dieser Lage resultierende existentielle Unsicherheit bildete den historischen Hintergrund dafür, daß die Nationalökonomie in der Weimarer Republik über die Bearbeitung von Einzelfragen hinaus eine Vielzahl von grundlegenden Ordnungskonzeptionen entwickelte, welche die Zerrissenheit und fehlende Integration der deutschen Gesellschaft nach 1918 heilen sollten. Diese Ordnungskonzeptionen, die ausgehend von den verschiedensten Spielarten des Wirtschaftsparlamentarismus (Hilferding, Lederer) über Ständestaatsideen (Spann, Stolzmann) bis hin zu Agrarstaatskonzeptionen (Oppenheimer) und organisch-esoterischen Modellen (Gottl-Ottlilienfeld) reichten, bezogen sich aber nur zum Teil auf die durch den Krieg bedingten Probleme der deutschen Gesellschaft, sondern diagnostizierten darüber hinaus strukturelle Defekte moderner Gesellschaften, die nach grundlegenden Lösungen verlangten. Dementsprechend wurden zahlreiche Lösungsmöglichkeiten mit sozialphilosophischer Emphase diskutiert, aber weder in den Zeitdiagnosen, noch in den Therapieempfehlungen Einigkeit erzielt, so daß gerade die verstärkte Suche nach Auswegen aus der Nachkriegskrise selbst zum Krisenfaktor wurde: Die "krisenhafte Erfahrung sich beschleunigender Modernisierungsprozesse in allen Lebensbereichen" (Wolfgang Hardtwig), die Zerrissenheit des Individuums, der Mangel an Lebensorientierung provozierten innerhalb der Nationalökonomie einen Überschlag von der langfristigen evolutionären Perspektive hin zum "konkreten Utopismus". Jedoch ließ sich das daraus resultierende Paradox, daß sich eine organische Ordnung nicht mehr auf natürlichem Wege aus sich selbst heraus entwickeln sollte, sondern konkret verwirklicht, geplant werden mußte, nicht lösen. Resultat war bei vielen Vertretern der Disziplin ein hybrides "Könnenbewußtsein", eine gravierende Überschätzung der eigenen Erkenntnis- und Gestaltungsmöglichkeiten.

Wegen des Fehlens verbindlicher Leitsemantiken nach dem Ende der Dominanz der Historischen Schule mußte die Entscheidung für einen bestimmten Ansatz (neoklassische Theorie, historische Erkenntnisweisen, sozialphilosophischer Vitalismus usw.) methodisch gegenüber möglichen Alternativen begründet werden. In Frage standen deswegen die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Disziplin. Das Fehlen eines verbindlichen gesellschaftlich-politischen Rahmens und der skizzierte Methodenpluralismus sind dabei aufeinander zu beziehen. Methodenprobleme waren nicht zuletzt das Resultat des Fehlens verbindlicher Leitsemantiken, mit dem gesellschaftlich-politischen Rahmen standen auch die methodischen Prämissen der Disziplin in Frage. Das hatte auch gravierende Auswirkungen auf die Art und Weise, in der wissenschaftliche Diskussionen geführt wurden. So konnte natürlich auch der neoklassischen Ökonomie vorgeworfen werden, daß sie sich auf "letzte" Axiome bezog und so letztlich ebenfalls normativ im Sinne bestimmter wirtschaftspolitischer Leitbilder argumentierte. Diese Kritik wurde jedoch sogleich von der Unfähigkeit konterkariert, die epistemologische Fundamentalkritik an den Opponenten durch ein eigenes tragfähiges Konzept zu legitimieren. Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Weil transzendentale Theorien den "autologischen Rückschluß auf sich selber blockieren" (Niklas Luhmann), handelte es sich um eine Erkenntnisebene, auf der Konflikte nach Wahrheitskriterien unentscheidbar waren. Und es handelte sich um ein probates Kampfmittel, andere Theorien auf diese Erkenntnisebene zu ziehen.

 

Diese knappe Krisentopographie soll verdeutlichen, welche interdependenten Faktoren es ermöglichen, von einer Krise der Nationalökonomie zu sprechen: Erstens das Fehlen eines legitimen gesellschaftlich-politischen Rahmens, auf den sich die Nationalökonomie in ihren Untersuchungen beziehen konnte; zweitens das Fehlen fester Paradigmen und ein Methodenpluralismus, der zu Mißverständnissen und Verhärtungen des Diskussionsfronten führte; drittens die Diskussion auf unterschiedlichen Ebenen (also beispielsweise die Ebene der theoretischen Erklärung im Unterschied zu einer transzendental argumentierenden Sozialphilosophie) und somit unterschiedlichen Ansprüchen auf Reichweite des Wirklichkeitsbezugs.

Diese Krisentopographie soll in dem Dissertationsprojekt anhand ausgewählter Diskussionen untersucht und genauer konturiert werden. Dabei handelt es sich um die Debatte um Konjunkturtheorie (als zur damaligen Zeit besonders avanciertes Theorieangebot), die Markttheorie und die Diskussion um Kartelle und Monopole, die eng mit der Debatte um die Zukunft des Kapitalismus verknüpft war. Es geht dabei um die Rekonstruktion des diskursiven Zusammenhangs, in dem Ordnungskonzeptionen entwickelt und Methodendiskussionen geführt wurden. Es soll herausgearbeitet werden, wie die skizzierten Krisenfaktoren zu einer Verhärtung der Diskussionsfronten und zu einem gegenseitigen Nichtverstehen der Kontrahenten geführt haben. Zugleich soll auch gezeigt werden, daß die Verarbeitung der skizzierten Problemlagen trotz aller Ideologie wissenschaftlich blieb. Auch der Ständestaat war Stand der Forschung, die Codierung wahr/falsch wurde nicht außer Kraft gesetzt. Insofern bestand die Krise der Nationalökonomie nicht in einem Mangel an "Wissenschaftlichkeit", sondern resultierte aus der fachspezifischen Verarbeitung historischer Problemlagen. Dies möchte das hier vorgestellte Dissertationsprojekt zeigen.

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