Veronica Schiavo

Theater und Gefängnis: vom Prinzip der Resozialisierung zur Gestaltung eines politischen Diskurses

Die Entwicklung der juristischen Diskussion und Reflexion über die Funktion von Strafe und Gefängnis, sowie die Verbindungen dieser Debatte mit der politischen und öffentlichen Diskussion zu dieser Frage ermöglicht eine Untersuchung der Wechselwirkung von normativer Ordnung und der Infragestellung der ihr zu Grunde liegenden Normen. Inwieweit ist, besonders in Stabilitäts- und Legitimitätskrisen sozialer Ordnungssysteme, die Auseinandersetzung um Normen das Zentrum komplexer kommunikativer Strategien zur Rechtfertigung oder Infragestellung des normativen Ordnungssystems selbst? In dem Moment, in dem diese Strategien einen Raum für die Entwicklung einer eigenständigen künstlerischen Sprache eröffnen, ermöglichen sie, dass diese künstlerische Sprache selbst zum Teil der politischen Kommunikation wird - sei es hinsichtlich spezifischer Fragestellungen, sei es in Bezug auf eine weiter gefasste gesellschaftskritische Debatte. Das Gefängnistheater in Italien wie auch in anderen europäischen Ländern repräsentiert seit jeher ein komplexes Phänomen sehr unterschiedlicher Erfahrungen, die von verschiedenen (künstlerischen, pädagogischen, humanitären, politischen) Voraussetzungen ausgehen und die verschiedene Arbeitsweisen verfolgen. Einige dieser Gefängnisprojekte haben es trotz aller Schwierigkeiten auch dank der Kontinuität ihrer Arbeit geschafft, sowohl innerhalb der Strafvollzugsanstalten als auch für das Theater wichtige Debatten auszulösen, die eine Untersuchung im Rahmen einer weiter gefassten Diskussion um die heutige Funktion und Bedeutung der gerichtlichen Strafe lohnen.

Das Forschungsprojekt soll an Hand der Untersuchung der bedeutsamsten Projekte und deren Erfahrungen die Tragweite dieses Phänomens erfassen, wobei zunächst die Erfahrungen in Italien ab Anfang der achtziger Jahre bis heute, und in einer zweiten Phase dann vergleichbare Projekte in Deutschland und Österreich betrachtet werden sollen. Eine Fragestellung wird hierbei sein, ob und wann die innerhalb solcher Projektarbeit entwickelten künstlerischen Sprachen - die stark von der Gefängnissituation bestimmt sind - als Elemente einer politischen Kommunikation bewertet werden können, denen das Anstoßen einer Diskussion gelingt, die nicht nur intern die Institution Gefängnis, sondern auch die Gesellschaft draußen erreicht. Daran anschließend soll untersucht werden, ob eine solche Diskussion dazu tendiert, die Institution als solche zu stärken oder zu schwächen, sie - etwa innerhalb einer Logik der Resozialisierung - zu rechtfertigen, oder sie grundsätzlich in Frage zu stellen, in dem - vielleicht utopischen - Versuch, sie aufzulösen, um, inner- wie außerhalb des Gefängnisses, eine grundlegend andere Wirklichkeit zu schaffen.

Ein bedeutender Teil der Arbeit wird darin bestehen, die Rezeption des Phänomens Gefängnistheater durch Massenmedien, öffentliche Meinung, Intellektuelle, die Institutionen inner- und außerhalb des Gefängnisses, die Häftlinge selbst sowie die Theaterschaffenden zu untersuchen. Ziel ist es, zu verstehen, wann eine durch diese Projektarbeit angestoßene Diskussion vom System selbst reintegriert werden konnte, und wann es gelungen ist, im Rahmen einer breiteren Debatte Forderungen nach Veränderungen zu stellen - und gelegentlich auch durchzusetzen - sei es hinsichtlich konkreter Bedingungen, sei es allgemeiner in Bezug auf die kollektive Wahrnehmung der Institution Gefängnis.

Eine solche Forschung beinhaltet die Einbeziehung ganz unterschiedlicher Quellen, und folglich dann auch die Analyse unterschiedlicher sprachlicher Ausdrucksformen, bedingt durch die jeweiligen Zielsetzungen und strukturellen Rahmenbedingungen.
Grob vereinfacht könnte man diese zunächst einteilen in:
Juristische Fachsprache innerhalb des Diskurses um Normen; rhetorische Sprache innerhalb des politischen Diskurses; technische Sprache der Kunst bezogen auf die Theater- und kunstinterne Reflexion, die in einigen Fällen einen sowohl poetisch-ästhetischen wie auch politischen Diskurs in Gang setzen kann.

Publikationen

  • Il senso prima dell'opera - Il processo creativo del Teatro de los Andes, in "Prove di drammaturgia", n. 1 2007, Università degli studi di Bologna (Dipartimento Musica e Spettacolo), direttore Professor Gerardo Guccini. [Rivista scientifica del Dams di Bologna]

Erstbetreuer:

Prof. Dr. Günther Pallaver (Innsbruck)

Zweitbetreuer:

Prof. Dr. Anna Gianna Manca (Trient)

Kontakt

Veronica Schiavo
veronicaschiavo@gmail.com