Dr. Luigi Ghezzi

Nostalgie und Politik des Gedenkens: Österreich, Deutschland und Italien in der “Trentino/Südtirol-Frage” (1870-1922)

In der aktuellen Geschichtsforschung stoßen Grenzregionen, vor allem die gemischtsprachigen, wieder auf großes Interesse, das vor allem den nationalen Grenzenstreitigkeiten gewidmet ist. In meinem Arbeitsfeld, der "Trentino-Südtirol-Frage", überschneiden sich nationale und landesgeschichtliche Forschungen österreichischer, italienischer und deutscher Wissenschaftler.

Mein Dissertationsvorhaben beschäftigt sich mit der Rolle der Nostalgie (auch Sehnsucht/Heimweh; eine begriffsgeschichtliche Klärung steht noch aus) in der politischen Öffentlichkeit wie beispielsweise der Debatte über die ethnische Herkunft des Territoriums Trentino-Sudtirol, der Monumentalistik, der Toponomastik usw. An diesen Beispielen zeigt sich, dass "Vergangenheit" als Argument der politischen Kommunikation zwischen 1870 und 1946 (K. u. K. Monarchie bis 1918, Italienisches Reich 1918-1922, das italienische faschistische Regime 1922-1943 und die "Operationszone Alpenvorland" zur Zeit der deutschen Besatzung 1943-1945) in den betrachteten Regionen genutzt wurde.

Meine zentrale These ist, dass Nostalgie (Sehnsucht/Heimweh) als ein kollektives Gefühl des Bedauerns die richtige irrationale Grundlage anzubieten scheint, um ein politisches Kräftefeld auszubilden. Dieses politische Kräftefeld bezieht die gemeinsame Vergangenheit in Darstellungen (Held und Märtyrer), historische Personen (Denkmäler) und nationalen Feiern mit ein. Es wurde beeinflußt durch die wechselnde Zugehörigkeit des Territoriums Trentino-Südtirol zu Österreich, Italien bzw. Deutschland, dem Heimatbewusstsein und der anthropologischen Verwandtschaft zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen.
Eine Arbeitshypothese ist, dass alle nostalgischen Gefuhle, die zu konservativen Formen der "Zivilisationskritik" und zu Natur- und Heimatschutz-Aktivitäten beitrugen, die Basis fur Regionalismus bildeten. Diese nostalgischen regionalen Gefühle standen oftmals im Kontrast zu den Massennationalisierungsprozessen, aber erwiesen sich manchmal auch zweckmäßig für diese Prozesse (zum Beispiel beim "Option-Fall").

Besonderes Augenmerk wird auf Assimilation- und Akkulturationsprozesse gerichtet. Repräsentative Ereignisse der internationalen Geschichte Italiens, Österreichs und Deutschlands sind: die Einweihungen der Statue Walthers von der Vogelweide am 15. September 1889 in Bozen und der Statue Dantes Alighieri am 11. Oktober 1896 in Trento; die Geschichte des Siegesdenkmals in Bozen (1928), das zur "Entgermanisierungspolitik" der deutschen Bevölkerung durch Mussolini gehört; die Aktivitäten der "Kulturkommission", die von 1939 bis 1943 versuchte, das Heimatbewusstsein unter ideologischen Rassenvorstellungen zu deuten.
Für den Untersuchungsraum ist zu beobachten, dass, obwohl das Territorium Trentino-Südtirol nicht geteilt wurde, anfänglich die italienisch sprechende Bevölkerungsgruppe in der Minderheit war und später die deutschsprachige Bevölkerungsgruppe zur Minderheit wurde.

Ziel der Arbeit ist, aufzuzeigen, wie das nostalgische Gefuhl instrumentalisierte Geschichte in das kollektive Gedächtnis hineinträgt, zum Katalysator im Umgang mit Geschichte wird, dank dem das Individuum und soziale Gruppen sich in überregionale Kommunikationsräume integrieren oder ausschliesen lassen. Durch das nostalgische Gefühl können Individuen und Gruppen ein gemeinsames kollektives Gedächtnis entwickeln und pflegen, um andere ethnische Gruppen auszuschliessen, obwohl sie die gleichen Mittel und Medien wie die benachbarten ethnischen Gruppen dazu benutzen.

Erstbetreuer:

Prof. Dr. Pierangelo Schiera (Trient)

Zweitbetreuer:

Prof. Dr. Brigitte Mazohl-Wallnig (Innsbruck)

Derzeitige Tätigkeit:

Handelsverantwortlicher im Weinkeller Endrizzi in Trient.

Kontakt

Dr. Luigi Ghezzi
luigi.ghezzi@gmail.com