Florian Huber

Katholische Milieus in Tirol 1830-1875: Konfessionalisierung, Politisierung, Nationalisierung.

Wie zahlreiche andere Regionen Europas erlebte auch das habsburgische Kronland Tirol zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein tiefgreifendes religiöses revival, das im letzten Drittel des Jahrhunderts wohl seinen Höhepunkt erreichte und die alpine Region nach außen hin - je nach konfessioneller bzw. ideologischer Provenienz des zeitgenössischen Betrachters - als Hort reaktionärer Obskuranten oder als katholisches Eldorado erscheinen ließ. Jenseits solcher plakativer Titulierungen in Reiseliteratur und Pamphletistik zeigen sich jedoch unterschiedliche, voneinander abweichende Katholizismen. Eine unsichtbare Grenze, die sich nicht mit den Diözesangrenzen zwischen den beiden Tiroler Bistümern Trient/Trento und Brixen/Bressanone deckte, sondern auffallend mit der Sprachgrenze zwischen italienischem und deutschem Tirol korrelierte, trennte einen entschieden ultramontanen, im nördlichen Teil Tirols dominierenden Katholizismus von einem heterogenen, in ultramontane, strengkirchliche und nationale-liberale Richtungen gespaltenen Katholizismus im italienischsprachigen Süden Tirols. Neben der frühen ultramontanen Wende im Norden und dem Erbe eines aufgeklärten, liberalen Katholizismus im Süden dürfte auch die geographische Lage des habsburgischen Kronlandes die Tiroler Katholizismen des 19. Jahrhunderts erheblich geprägt haben: Die nationalen Einigungen im Norden und Süden Tirols, der Antagonismus zwischen Kirchenstaat und Risorgimento in Italien, Rekonfessionalisierung und Kulturkämpfe in Deutschland wirkten auch auf Tirol und bedingten besonders die Entwicklung der Tiroler Katholizismen.

An die neuere Katholizismus- bzw. Religionsgeschichte anschließend sollen die kurz skizzierten Ausprägungen des Katholischen im Kronland Tirol als unterschiedliche, voneinander abgrenzbare bzw. sich abgrenzende Kommunikationsräume verstanden werden, die sich durch bewusste Vergesellschaftungs- und Kommunikationsstrategien im Laufe des 19. Jahrhunderts konstituierten haben. Wenngleich diese Prozesse von der Katholizismusforschung zumeist als "katholische Milieus" vor allem in gemischtkonfessionellen Gebieten in der Schweiz, Deutschland oder den Niederlanden untersucht werden, dürfte der Ansatz auch für das quasi monokonfessionelle Tirol vielversprechend sein, zumal sich die Katholizismen bzw. die katholischen Kommunikationsgemeinschaften oder Milieus stark von ideologisch-weltanschaulich divergierenden Strömungen bzw. Institutionen abgrenzten, sich dadurch selbst ausbildeten und immer wieder aktualisierten. Zudem traten im nördlichen, ultramontan geprägten Teil Tirols deutliche Konfessionalisierungsmerkmale auf: Die deutschsprachige katholische Kommunikationsgemeinschaft grenzte sich vehement vom Protestantismus ab, definierte "Tirol" als exklusiv katholischen Raum und duldete keine konfessionelle Abweichung im eigenen "Hoheitsgebiet".

Die Formierung und Ausprägung der katholischen Kommunikationsräume soll anhand zweier sich gegenseitig bedingender Stränge analysiert werden: Zunächst gilt es einen Binnenkommunikationsraum auszumachen. Dabei sollen Hierarchisierung, Homogenisierung und pastorale Strategien, rituelle und normative Vergemeinschaftungsformen im Inneren der Katholizismen betrachtet werden. Ein zweiter Untersuchungsstrang fokussiert die Kommunikationsformen und -inhalte der Katholizismen untereinander sowie mit ihrer unmittelbaren bzw. mittelbaren Umwelt: Hier werden besonders Leitdifferenzen mit anderen kommunikativen Formationen und ihre Auswirkung auf das Innere der katholischen Kommunikationsräume sowie die Transformierung religiöser, die innere Kommunikation dominierende Leitbegriffe zu politisch wirksamer Argumentation unter die Lupe genommen.

Publikationen

  • "de Heren von Botzen […] une espèce de noblesse subalterne […]." Eliten in Bozen: Beharrung und Wandel zwischen 1800 und 1820, in: Bellabarba, Forster, Heiss, Leonardi, Mazohl, Pfeifer [Hrsg.], Eliten in Tirol zwischen Ancien Régime und Vormärz [erscheint 2010].

Erstbetreuer:

Prof. Dr. Brigitte Mazohl (Innsbruck)

Zweitbetreuer:

Prof. Dr. Werner Plumpe (Frankfurt/Main)

Derzeitige Tätigkeit:

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regionalgeschichte der Universität Bozen.

Kontakt

Florian Huber
florian.huber@student.uibk.ac.at