Papstwahlreform in der Renaissance

Das im Jahr 1488 Papst Innozenz VIII. Cibo übergebene, vom Zeremonienmeister Agostino Piccolomini Patrizi (1435–1495) unter Mitarbeit von Johannes Burckard erstellte, so genannte Caeremoniale Romanum bringt einen jahrhundertelangen Tradierungs- und Kodifizierungsprozess der Zeremonien am päpstlichen Hof zu einem vorläufigen Abschluss und wird bis ins 20. Jahrhundert das wichtigste Referenzwerk für die Gestaltung päpstlicher Repräsentation darstellen. Zwar liegt seit 1980/82 eine Edition des authentischen Textes von 1488 vor. Welche Vorlagen für welche Passagen im Caeremoniale Romanum jeweils Pate standen und inwiefern die einzelnen Konzeptionen dieser höchst produktiven Renaissanceliturgen genuine Neuschöpfungen gewesen sind, ist jedoch noch nie textkritisch untersucht, geschweige denn verfahrenshistorisch und amtstheologisch genauer analysiert worden. Das Teilprojekt soll unter anderem genau dies für die Textteile des Kapitels De electione Romani Pontificis in eingehender Form leisten.

Um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie innovativ das im Caeremoniale Romanum kodifizierte Papstwahlverfahren gewesen ist, sollen nicht nur sämtliche ältere, im Laufe des Mittelalters am Papsthof entstandenen Zeremonienbücher hinsichtlich des dort beschriebenen Wahlverfahrens ausgewertet werden. Darüber hinaus sollen die mittelalterlichen Wahlpraktiken in anderen kirchlichen „Systemen“, insbesondere im Bereich der alten benediktinischen und der neuen Bettelorden, erhoben werden. Durch derartige minutiöse Textvergleiche werden Kontinuität und Wandel des Papstwahlverfahrens, wie es sich im Caeremoniale Romanum beschrieben findet, erstmals sichtbar werden.
Über eine solche Untersuchung der vorausgehenden kanonischen Wahlordnungen und Wahlpraktiken hinaus, wird das Teilprojekt in der glücklichen Lage sein, auch die unmittelbaren Vorarbeiten, Planungsnotizen, traktatähnlichen Reflexionen und auch die Fortschreibungen der Reform in den Wahlberichten der späteren Zeremoniardiarien auswerten zu können. Denn große Teile der weit gespannten Schriftlichkeit der päpstlichen Zeremonienmeister haben sich in einem Archivio dei Maestri delle Cerimonie Pontificie erhalten. Heute befinden sich diese Bestände des alten Zeremonialarchivs (ACP) immer noch nicht in dem allgemein zugänglichen Päpstlichen Geheimarchiv (ASV) oder der Vatikanischen Bibliothek (BAV), sondern im Ufficio delle Celebrazioni Liturgiche del Sommo Pontefice des gegenwärtigen Zeremonienmeisters im Apostolischen Palast.

Erstes Ziel des Teilprojektes ist es also, Genese, Gestalt, Programmatik und schließlich auch die spätere Einhaltung des 1488 kodifizierten neuen Papstwahlverfahrens zu erheben. Einerseits lässt sich dort eine eklatante Spiritualisierung und quasi-sakramentale Aufladung der Verfahrensform beobachten. Insbesondere die neue symbolisch-technische Gestaltung der Abgabe des Skrutiniums als eine extramissale Opfergabe auf dem Altar ist hierfür kennzeichnend. Es wird zu untersuchen sein, ob diese Aufladung des Verfahrens durch Artefakte und rituelle Handlungssequenzen aus eucharistischem Kontext eine Reaktion auf den mittelalterlichen Auseinanderfall von Wahl und Weihe darstellt. Denn während in der altkirchlich-cyprianischen Konzeption der Bischofsordination Wahl und Weihe noch integrale, aufeinander verwiesene Elemente eines zwar ausdifferenzierten, aber doch einzigen Vorgangs bildeten, war die Mehrzahl der im Mittelalter gewählten Päpste bereits zuvor für ein nichtrömisches Bistum konsekriert worden. Durch den Wegfall des Rituals der Weihe war aber das wesentliche Element zur Einhegung von Kontingenz bei einer kirchlichen Personalentscheidung verloren gegangen. Mit der spirituellen Aufladung des Wahlverfahrens selbst könnten die Zeremonienmeister diesen Mangel zu kompensieren versucht, gleichsam der Weihe äquivalente Elemente eingebaut haben und damit der spätmittelalterlichen Kritik einer Verweltlichung der Personalentscheidung im päpstlichen Konklave begegnet sein. Anhand von im Zeremoniararchiv überlieferten Traktaten ist eine solche Hypothese gut zu prüfen.

Die spirituelle Aufladung stellt jedoch nur einen Aspekt des neuen Verfahrens dar. Denn gleichzeitig verstärkt das Verfahren mit vielfältigen symbolisch-technischen Mitteln die hierarchische Strukturierung des Wahlkollegiums. Auch wenn rein numerisch jede Stimme gleich zählt, wird das Kardinalskollegium der Renaissance als eine Gemeinschaft von Ungleichen aufgefasst. Das ist auch der Grund, warum die Geheimhaltung der Voten nur für die Phase der Stimmabgabe garantiert wird. Spätestens bei der Auszählung der Stimmen erfährt jeder Teilnehmer des Konklaves, wer wen gewählt hat. So soll in hinter einander geschalteten Skrutinien jeder Wähler die abgegebenen Stimmen nach Kriterien der Qualität der Votierenden (ihrer sanioritas) – und eben auch nach dem Gesichtspunkt klientelärer Verflechtung und Loyalität – ponderieren und diese Aspekte bei seiner nächsten Stimmabgabe einfließen lassen können.
Im Teilprojekt soll schließlich auch untersucht werden, auf welche Akzeptanz die neue Verfahrensform des Caeremoniale Romanum in den Papstwahlen ab 1488 gestoßen ist. Die ersten Stichproben in den Diarien legen die Vermutung nahe, dass das neu kodifizierte Skrutinalverfahren in den Konklaven des 16. Jahrhunderts zwar mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder pro forma durchgeführt wurde. Aber die Personalentscheidungen selbst scheinen faktisch außerhalb der Skrutinien im Rahmen der von den Kardinalnepoten geführten informellen Verhandlungen herbeigeführt und dann durch das Ritual der Huldigung performativ verbindlich gemacht worden zu sein. Jedenfalls hat die Papstwahlreform des Renaissancepapsttums solche nepotistischen Praktiken und Werthaltungen nicht unmöglich gemacht, weswegen die Kritik an den Papstwahlen und ihren Ergebnissen im Folgenden auch nicht abklingen sollte.

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