Electi und provisi: Die Bischöfe in der Lombardei der Visconti, 1378-1417

Das Unterprojekt untersucht die Rekrutierung der Bischöfe während des Großen Schismas im lateinischen Westen (1378-1417), das die Kirche erst in zwei und ab 1409 in drei Obödienzen spaltete. Auf Grund dieses zeitlichen Zuschnitts kann beobachtet werden, wie ein durch besondere Belastungen geprägter historischer Kontext (Schisma) Personalentscheidungen konditionierte oder beeinflusste. Geografisch konzentriert sich das Unterprojekt auf die Lombardei unter der Herrschaft der Visconti.

Je stärker die Ekklesiologie bis 1378 die plenitudo potestatis des Papstes und den Vorrang des Hauptes vor den Gliedern betont hatte, um so strittiger wurde mit der Krise der Kirchenleitung im Schisma die von ihr beanspruchte Legitimierung der Bischofserhebungen von oben; damit wurde auch ein Verfahren der Personalentscheidung fragwürdig, dessen Fäden letztlich beim Papst und in der Kurie zusammenliefen. Die traditionellen lokalen oder territorialen Gesprächspartner der Päpste – weltliche Machthaber (Fürsten, Könige, Stadtführungen) und kirchliche Institutionen (Domkapitel, Orden) – erschlossen sich im Spiel mit den Obödienzen neue Manövrierräume: ein Spiel, in dem die Motivationen der Beteiligten so vielfältig verflochten waren, dass die Auswahl der Bischöfe zum Terrain wurde, auf dem erst noch festzulegende Machtansprüche sich konsolidieren, erweitern oder "zeigen" konnten. Die dort herrschenden Kontingenzen mussten akzeptabel gemacht werden – und hier setzt auch die Problemstellung der Forschergruppe an. Aus den beschriebenen Bedingungen ergab sich ein Suchen nach Legitimität und angemessenen Verfahrensformen, das nicht in einer einzigen Richtung verlief, sondern dialektisch angelegt war: Es ging den lokalen oder territorialen Herren ja nicht bloß darum, die Entscheidung für einen bestimmten Kandidaten, sondern gerade dadurch auch die Grundlagen der eigenen Regierungsgewalt zu legitimieren; und für die Schisma-Päpste bestand die Kehrseite des Angebots, einen Bischof zu legitimieren, in der Forderung, dadurch ihrerseits eine legitimierende Anerkennung zu verbuchen.

Die Untersuchung setzt bei der basalen Frage an, von wem in den politisch von den Visconti beherrschten Diözesen der Lombardei die Personalentscheidungen getroffen wurden, die sich in der durch das Schisma erzeugten Situation der „Unsicherheit“ durchsetzten. Auf der Ebene der Institutionalisierung der Prozeduren wird auf die Spannung zwischen der Ernennung „von oben“ (durch den Papst, den lokalen Herrn oder den Fürsten) und der Wahl „von unten“ (durch das Domkapitel) – oder, in der Terminologie von Andreas Thier (2011), zwischen „hierarchischer Ordnung“ und „institutioneller Autonomie“ – zu achten sein. Einbezogen wird aber auch die Perspektive des Kandidaten, der seiner Auswahl zustimmte (unter Umständen im Rahmen einer sorgfältig geplanten kirchlichen Karriere, einschließlich Versetzungen und Beförderungen), der aber auch verzichten oder abgesetzt werden konnte (oder sogar das Leben verlor). Die Analyse wird ferner die Frage nach dem „Wie“ verfolgen, d. h. nach den eingesetzten legitimierenden Verfahren, die sich auch in besonderen dokumentarischen Formen niederschlugen („Semantik der Diplomatik“: gratiae expectativae, reservationes, provisiones, litterae officiorum, littere immunitatis et exemptionis, fidelitates) und als Mechanismen der Konfliktregelung genutzt werden konnten.

Im Mittelpunkt des Unterprojekts steht jedoch das Problem, welche Argumente die Protagonisten ins Feld führten, um die eigene Initiative und den eigenen Kandidaten zu rechtfertigen. Es wird geprüft, in welchem Maß konkrete Entscheidungen von der juristischen, theologischen und ekklesiologischen Reflexion begleitet und begünstigt wurden; wie sich die Spannung gestaltete zwischen Normbewährung und Normbildung, hierarchischem und kollektivem Prinzip, zwischen sozialer Herkunft und Ausbildung des Kandidaten; und wie diese Spannungen sich zum Komplex „Wahl/Konsens/Repräsentation“ verhalten, der sich im Fall der lombardischen Bischöfe überdies in den Kontext der politischen Veränderungen, insbesondere der Beziehungen zwischen Fürst und kommunaler Gesellschaft, einordnen lässt.

Da die Jahrzehnte des Schismas auch die Theologen zu Überlegungen anregten, dank deren schließlich die Konzilslösung gefunden wurde, soll ferner untersucht werden, inwiefern die Semantik der Bischofsrekrutierung sich mit Argumenten anreicherte, die aus diesen Diskussionen über das Schisma und seine Lösung stammen oder mit ihnen verbunden sind. Von daher sind die (allerdings seltenen) theologischen Schriften wie der Tractatus de monarchia des Guglielmo Centueri besonders hilfreich: Dieser Franziskaner und Bischof rechtfertigte, mitten in den Debatten seines Ordens über das Armutsprinzip, den Besitz materieller Güter auch für individuelle Minderbrüder. Ein solcher Ansatz erlaubt es, den traditionellen (und zu statischen) Gegensatz zwischen Sein und Sein sollen – d. h. zwischen den Projektionen einer bischöflichen Idealfigur, wie sie die theologische, hagiografische und kanonistische Literatur bietet, einerseits und den Vorwürfen von Missbrauch und Abweichung, wie sie sich in Reformschriften finden, andererseits – aus einem neuen Blickwinkel aufzugreifen, und zwar aus dem Erwartungshorizont der Konzilsbewegung und ihrer Forderung nach einer reformatio in membris.

Im Kontext der politisch-kirchlichen Entwicklung Oberitaliens um 1400 (vom Fürstentum Savoyen bis Venedig) konzentriert sich das Programm zunächst auf ein während der Jahrzehnte des Schismas im Aufbau befindliches Prinzipat, die Lombardei unter der Visconti-Dynastie. Von 1329 bis 1447 standen die historische Lombardei und deren wichtigste Städte unter der – unterschiedlich intensiven und zeitlich skalierten – Herrschaft der Visconti. Offiziell hatte die Dynastie vor den „Konkordaten“ der 1430er Jahre kein Präsentationsrecht für die Bischofssitze. Während des Schismas fuhren die Visconti absichtlich einen ambivalenten Kurs gegenüber den beiden Obödienzen, um so die Bestellung von Bischofskandidaten, die ihnen nicht genehm waren, einzuschränken oder sogar ganz zu verhindern. Insbesondere in den Diözesen Mailand, Pavia, Piacenza, Como und Tortona gelang es ihnen, nach wenigstens drei Richtungen Druck auszuüben und damit die im früheren 14. Jahrhundert allmählich institutionalisierten Verfahrensweisen teilweise zu unterlaufen: Sie setzten zum einen die Päpste unter Druck und zum anderen die Domkapitel, denen sie in einigen Fällen befahlen, ohne herrschaftliche Erlaubnis providierte Kandidaten zurückzuweisen und stattdessen den Visconti-Kandidaten zu wählen; zum dritten wirkten sie auf ihre Untertanen ein, denen sie ab 1378 verboten, ungenehmigt um kirchliche Ämter und Pfründen zu supplizieren. Ergebnis dieser Pressionen waren, wie es scheint, herrschaftliche Ablehnungen (Tortona, Lodi), päpstliche Absetzungen (Piacenza) und Amtsverzicht von Bischöfen. Alle diese Fälle müssen in ihrem besonderen Kontext analysiert und in Beziehung zu den Versetzungen von Bischöfen von einer cathedra zur anderen gebracht werden, denn solche Versetzungen sind in den Jahren 1378-1394 in bis dahin unerreichter Häufigkeit zu beobachten.

Nach dem Tod Gian Galeazzo Viscontis (1402) änderte sich das Szenario: Jetzt scheinen die Visconti-Herzöge bei der Auswahl der Bischöfe eine weniger gewichtige Rolle gespielt, zumindest sich den Entscheidungen der Päpste verschiedener Obödienz angepasst zu haben; Rivalen der päpstlichen Bischofskandidaten waren seitdem eher lokale Protagonisten, die von den Domkapiteln auch in Reaktion auf Forderungen aus den nun wieder autonomen Stadtgesellschaften (Mailand, Como) vorgeschlagen wurden. Insofern bildet das Jahr 1402 einen bedeutenden Einschnitt, der Veränderungen in den Kriterien zur Auswahl der Bischöfe, in den Verfahren der formalen und rechtlichen Legitimierung der Ernennungen und in der Definition der Eignung der Kandidaten bezeichnet.

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Dr. Federica Cengarle

Università degli Studi di Pavia
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