Zukunftserwartungen und Personalrekrutierung deutscher und US-amerikanischer Unternehmen, 1918 - 1975

Im Teilprojekt werden zentrale Ergebnisse des ersten Förderabschnitts aufgenommen (Wandel der Entscheidungskommunikation im Zeitverlauf, die hohe Bedeutung der Zukunftserwartung und der Organisationsstrukturen für die Personalauswahl, die Wahrnehmung in westdeutschen Unternehmen, bei der Personalbeurteilung und -auswahl im Vergleich zu US-Konzernen weniger methodisch vorzugehen), neue Überlegungen zum Entscheidungsproblem in Unternehmen berücksichtigt und dabei von zwei weiterführenden, grundsätzlichen Überlegungen ausgegangen.

Von unerwarteten Entscheidungsanlässen abgesehen (plötzlicher Tod einer Führungskraft, Kündigung), bestimmen die Zukunftserwartungen in einem Unternehmen nicht nur die Investitions-, Finanzierungs- oder Produktpolitik, sondern namentlich auch Personalentscheidungen maßgeblich mit (dazu und zum Folgenden: Plumpe 2016b). Neue Erwartungen der Unternehmensführung zu einem gegebenen Zeitpunkt hinsichtlich der zukünftigen Marktsituation samt ihrer Folgen für die Organisationsstruktur etc. bilden einen der wichtigsten Anlässe für Personalentscheidungen und lösen jene internen Entscheidungsabläufe aus, die vorgesehen sind, um die Entscheidungssituation zu bewältigen. Denn in den Unternehmen ist klar, dass eine wesentliche Ressource zur Bewältigung erwarteter Herausforderungen in der Verfügung über entsprechende Personalressourcen besteht, die daher sozusagen auf Vorrat angelegt sein müssen. Das ist alles andere als trivial, zumal sich die Verfahren und die Ergebnisse von Personalrekrutierungen auf dynamischen Märkten sowie vor dem Hintergrund fortlaufend angepasster Zukunftserwartungen bewähren müssen und daher stets nur Lösungen auf Zeit sein können. Zwischen Zukunftserwartungen und laufenden Personalentscheidungen besteht insofern ein dauerhafter, konstitutiver Zusammenhang. Dabei sind hier zwischen den USA und Deutschland gravierende Unterschiede anzunehmen, die einen Vergleich zugleich zwingend und fruchtbar erscheinen lassen.

Denn in den USA und in Deutschland richteten sich die Zukunftserwartungen der Unternehmensleitungen früh auf unterschiedlich strukturierte Märkte und Organisationsformen hin aus. Während die Integration und Diversifikation in den Großunternehmen seit etwa 1900 fast zeitgleich verliefen und bis in die 1920er-Jahre hinein ein ähnliches Level erreichten, unterschieden sich hingegen ihre Marktbedingungen und Organisationprinzipien deutlich länger. US-amerikanische Konzerne hatten große, weitgehend homogene Märkte zu bedienen, konzentrierten sich auf die Produktion standardisierter Massengüter, verfolgten eine Absatzpolitik und Handelsformen, die sich an den Bedürfnissen der Massenmärkte orientierten und gingen deutlich früher zu einer Divisionalisierung ihrer Organisationsstruktur und einer Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen über. Deutsche Großunternehmen hatten eine Vielzahl jeweils kleinerer (Teil-)Märkte in Rechnung zu stellen, setzten auf entsprechend ausdifferenzierte Qualitätsproduktion und diversifizierten ihr Angebot entsprechend stark, hingen insofern auch viel mehr von starken Zentralorganisationen ab und entschlossen sich in der Regel folgerichtig erst seit den 1960er-Jahren, ihre Organisationsstruktur (regional) zu divisionalisieren.

Im Teilprojekt wird in einem transnationalen Vergleich dem Zusammenhang von Zukunftserwartungen auf unterschiedlichen Märkten und den Formen der Personalrekrutierung nachgegangen. Im Kontext der Forschergruppe eröffnen die komparative Perspektive und die hier ausgewählten Vergleichsräume die Möglichkeit, den „großen Rhythmen der historischen Entwicklung im Bereich der westlichen Moderne“ (so der Rahmenantrag) genauer nachzugehen und die Gleichzeitigkeit bzw. Ungleichzeitigkeit von „Transparenz, Kommunikation und Partizipation“ bei Personalentscheidungen im Zeitverlauf genauer zu bestimmen.

Auf einer ersten Untersuchungsebene werden am Beispiel von Unternehmen aus der Eisen- und Stahl-, Chemie-, Mineralöl und der Automobilindustrie (US-Steel, Dupont, Exxon Mobil, Ford Motor Company, Thyssen, BASF, Degussa, Fordwerke GmbH, Esso Deutschland) die Praktiken der Personalrekrutierung auf der Mikroebene rekonstruiert. Dabei sollen zunächst Entscheidungsanlässe herausgearbeitet, Probleme (und ihre Lösungen) im Entscheidungsverfahren benannt und schließlich der Wandel der Entscheidungskommunikation beleichtet werden, die für die Akzeptanz von Personalentscheidungen von zentraler Bedeutung ist, nicht zuletzt bei den im Karrierewettbewerb unterliegenden Kandidaten, deren Bereitschaft diese Niederlagen zu akzeptieren, für die Unternehmensentwicklung von großer Bedeutung ist. Entsprechend bilden die Entscheidungsfolgen, insbesondere der Umgang im Unternehmen mit Verlierern von Auswahlverfahren und gescheiterten Personalentscheidungen, aber auch die Reaktion der unterlegenen Personen und die Wirkungen auf die „informale Ordnung“ der Organisation einen weiteren Schwerpunkt auf der ersten Untersuchungsebene. Gab es länder-, kultur- und branchenspezifische Unterschiede im Umgang mit Führungskräften, die sich nicht bewähren? Ältere soziologische Studien aus den USA vermuten, dass auch die „Methoden der Kaltstellung von Personal“ von der Organisationsstruktur abhängt. Ob eine „räumliche Versetzung“ in ein anderes Werk oder ob ein „Versager“ z.B. „ehrenvoll in den Stab eines Direktors“ versetzt wird, werde stark von den Möglichkeiten determiniert, die die Konzernstrukturen vorgeben.

Darüber hinaus sollen auf einer zweiten Untersuchungsebene die US-amerikanischen Einflüsse auf die Methoden und Verfahren der Personalbeurteilung und -rekrutierung herausgearbeitet und der transnationale Wissenstransfer erörtert werden. Welche Akteure nahmen wann, wo und wie die Muster von Personalentscheidungen in US-Unternehmen wahr? Welche Rolle spielten Studienreisen einschließlich persönlicher Kontakte, Austauschprogramme, Kooperationen von Unternehmen, Firmenzeitschriften, aber auch externe Akteure wie Unternehmensberater, oder Buch- und Zeitschriftenverlage? Begann die Beobachtung von Auswahlverfahren erst nach dem Zweiten Weltkrieg oder bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts? Welche Methoden wurden übernommen, welche ließen sich mit spezifisch deutschen Traditionen, wenn es sie denn gab, nicht vereinbaren? Und auch andersherum dürfte von Interesse sein zu betrachten, wie in den USA die deutsche industrielle Elite und ihre Rekrutierung betrachtet wurden, ob insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein Impuls zu unmittelbaren Eingriffen in entsprechende Auswahlverfahren deutscher Unternehmen vorgesehen und evtl. über besatzungspolitische Maßnahmen geplant war. Ebenso wird zu prüfen sein, ob im Kontext der Marshall-Plan-Kooperation und der amerikanischen Initiativen, die Produktivität der europäischen Unternehmen zu erhöhen, gezielte Maßnahmen ergriffen wurden, die über den reinen Personalaustausch bzw. Besuchsprogramme in den USA hinausgingen.

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Dr. Jörg Lesczenski


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