Politische Kommunikation als Konflikt um Normen

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In jeder Epoche, durch jede historische Gruppe werden bestimmte Normen entwickelt, definiert und weiter getragen. Indem sich die jeweils Beteiligten darüber verständigen, diese gegen andere, gegen veränderte Zeitumstände oder schleichende Diffundierung zu verteidigen, entsteht politische Kommunikation über diese Normen. Innerhalb des ersten Forschungsfeldes sollen Spezifika solcher Normbegriffe mit Hilfe national, regional und chronologisch vergleichend angelegten Einzelstudien herausgearbeitet werden.

Die inhaltliche Verzahnung zwischen antiken und frühneuzeitlichen Normdiskursen ist in der Forschung wohl bekannt. Die Debatten über die Entstehung politischer Begriffe in Antike und Frühneuzeit erweisen sich für den hier skizzierten Forschungsansatz als zentral, denn sowohl der methodische Zugriff als auch die Rezeption der Ergebnisse zur antiken Begrifflichkeit (z.B. Demokratie als "Nebenprodukt") haben sich in der Kooperation zwischen Historikern der antiken Welt und denjenigen der europäischen Frühneuzeit als sehr tragfähig und anregend erwiesen. Das gilt ebenso für den Vergleich zwischen antiker und frühneuzeitlicher Herrscherrepräsentation als Form der Herrschaftslegitimation sowie für die Untersuchung der Kommunikation über die Figur des Königs vom frühen Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit. Entscheidend ist, wie bestimmte politische Rollen und deren normprägende Kraft seit der Spätantike über das Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit hinein kommuniziert wurden und welche Kommunikationsstrategien und Trägergruppen dabei eine Rolle gespielt haben. Als besonders ertragreich für die Kooperation zwischen althistorischer und Frühneuzeitforschung hat sich die Rezeption der antiken Begrifflichkeit für die Debatte um die Notwehr-Gegenwehrproblematik im europäischen 16./17. Jahrhundert erwiesen; ohne deren Bezug auf die antiken Vorbilder, die schon seit der Spätantike mit dem Traditionsgut des Alten und des Neuen Testamentes verbunden waren, wäre sie gar nicht denkbar gewesen. Als Beispiel kann die Verzahnung des frühneuzeitlichen Diskurses um das Recht der correctio principis mit der Notwehrlegitimation dienen, die in der politischen Praxis zu differenzierten politischen Kommunikationsformen, Kommunikationsstrategien und zu regional sehr unterschiedlichen Lösungswegen führte. Sie ist allein vor dem Hintergrund der antiken politischen Kommunikation um die Herrschaftstypologie zu verstehen.

Kommunikationsstrategien sind nicht zuletzt sprachliche Formen der Vermittlung von Normen und Werten; der Einsatz sprachlicher Kunst- und Gestaltungsformen muß deshalb als Teil der politischen Kommunikation ernst genommen werden. Die jüngere mediävistische Forschung widmet sich in diesem Sinne der Kunst der Rhetorik. Es ist eine methodische und inhaltliche Weiterführung für die Fragestellungen des IGK, wenn diese Richtung der mediävistischen Arbeit in der Konzentration u.a. auf das Medium Brief im Verbund des IGK fest verankert wird. Dabei handelt es sich um eine Quellengattung, der in der ersten Förderphase des IGK bereits einige Untersuchungen gewidmet wurden, so dass an eigene Vorarbeiten angeknüpft werden kann.

Der Kenner der Geschichte Alteuropas weiß um die elementare Bedeutung, die das Modell des oikos, des "ganzen Hauses" und in diesem des Elternpaares, d.h. des Hausvaters und der Hausmutter für den Diskurs um Herrschaft hatte; bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war das Vierte Gebot die Norm, aus der sich elterliche und damit königliche Herrschaft legitimierte. Es ist offenkundig, dass deshalb die Sprache der Politik in Antike, Mittelalter und früher Neuzeit immer zugleich auch die Sprache der Geschlechter und der Geschlechterverbände war. Die Rolle, die das Haus/der oikos als Grundmuster für die Ordnung von Herrschaft spielte, kann kaum überschätzt werden. Als weitere Beispiele sind Formen der Übertragung von Herrschaft und Macht (u.a. im Erbrecht) zu nennen, deren Formalisierung Teil der zeitgenössischen politischen Sprachen gewesen ist. Die hier ansetzende Kooperation von Althistorikern, Mediävisten und Historikern der Frühen Neuzeit wird sich den religiös-ethischen und politisch-rechtlichen Mustern der Begründung von Herrschaft und Autorität zuwenden, um u.a. die langen Linien in der Zuweisung von weiblichen Rollenmustern ebenso zu erforschen wie die Brüche in diesen Zuweisungen. Dazu gehört u.a. auch die Verknüpfung mit der Frage nach den Rollen, die einem Königspaar in den verschiedenen Zeitschnitten zugewiesen wurden und deren rhetorische Präsentation.

Machtfragen sind Gegenstand politischer Kommunikation; das gilt für die gesamte Zeitspanne, der sich das hier skizzierte Forschungsfeld widmet. Deshalb ist die Verbindung von Machtausübung oder Erfahrung von Machtmißbrauch u.a. in kriegerischen Konflikten ein ernst zu nehmendes Forschungsfeld, wenn es um die Kommunikation von politischer Herrschaft geht. In dieser Forschungskooperation sind alle Teilnehmer des IGK verbunden, denn es soll in dieser thematischen und personalen Klammer untersucht werden, zu welchen Brüchen die verschiedenen Formen der militärischen Gewalt seit der Antike über das 16./17.Jahrundert bis in die Materialschlachten des 20.Jahrhunders führten mit der Folge sehr strikt voneinander abweichender Legitimation von Herrschaft und sehr disparater politischer Kommunikation der Zeitgenossen darüber. Während z.B. in der Frühen Neuzeit privatrechtliche und herrschaftspolitische Argumentationsfiguren in der Begründung eines Rechts auf Gegenwehr zusammen liefen und die politische Kommunikation in ganz Europa prägten, war die Erfahrung von Gewalt u.a. im Ersten Weltkrieg sehr stark auf die Individuen bezogen.

Die Auflösung der alteuropäischen Verzahnung von Kirche und Welt an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert schuf politisch-soziale Legitimitätsprobleme in gänzlich neuer Qualität. Die Kommunikation über solche Normen, die an die Stelle der alteuropäischen treten könnten oder sollten, um die politische Integration auf einer anderen Ebene von Herrschaftspraxis zu ermöglichen, wurde seitdem zu einem dauerhaften Phänomen der politischen Sprache. Bei einem europäischen Vergleich zeigt sich, daß es sehr unterschiedliche Lösungen gegeben hat, die zwar alle als Risikokommunikation charakterisiert werden können, aber unterschiedlich Diskurse insofern gewesen zu sein scheinen, als nicht alle die Anbindung an traditionale Normsets und /oder den radikalen Bruch mit diesen beinhalten. Von besonderer Bedeutung war die Kommunikation über die politischen Normen der Repräsentation und Partizipation als Teil sowohl der altständischen als auch der bürgerlichen Ordnungen nach der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Der hier greifbare Wandel politischer Vorstellungen und Normgefüge in ganz Europa ist Gegenstand der Forschungen. Das reizvolle an dieser Kooperation ist, dass "Verfassung" sehr wohl auch jenseits schriftlicher Fixierungen in Verfassungsurkunden greifbar werden kann.

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