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Im Dezember 2014 endet die Laufzeit des von der DFG aus Mitteln des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises geförderten Verbundprojektes Politische Sprache im Mittelalter. Semantische Zugänge an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Im Rahmen einer Tagung stellen wir daher den Arbeitsstand zur Diskussion und entwickeln gemeinsam mit unseren Gästen Perspektiven für die Zukunft der digital gestützten Historischen Semantik der Vormoderne. Zudem stellen wir ein neues Arbeitsinstrument vor, das die Arbeit von Historikern und Philologen ebenso vereinfacht wie verändert.
Zwischen 1972 und 1992 erschienen die berühmten sieben Bänden „Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur Politisch-Sozialen Sprache in Deutschland“. Obgleich Reinhart Koselleck in seiner Einleitung die Methodologie skizziert hat und den Blick der Autoren auf bestimmte, vordefinierte Untersuchungskorpora lenken wollte, musste er später das Festhalten vieler Bearbeiter an tradierten ideengeschichtlichen Arbeitsweisen beklagen. Den Verfasserinnen und Verfassern jener Zeit fehlten die technischen Möglichkeiten für eine quantitative und qualitative Auswertung größerer Textmengen, zumal abseits der politiktheoretischen Klassiker. Die theoretische Herausforderung, die Koselleck in den 1960er Jahren formuliert hatte, ist erst heute zu bewältigen. Erst jetzt kann Historische Semantik auf der Grundlage breit angelegter Korpora – computerbasiert – betrieben werden, allerdings nur nach einem langen, methodisch und technisch komplizierten Vorlauf. Im Rahmen des Leibniz-Projekts zur Semantik politischer Sprache im Mittelalter sollte unter anderem dafür gesorgt werden, dass computerbasierte corpuslinguistische Verfahren von nun an vergleichsweise einfach und schnell durchzuführen sind. Ermöglicht wurde dies durch enge Kooperation mit der seit 2008 an der Goethe Universität aufgebauten „Arbeitsgruppe Texttechnologie“ (Alexander Mehler).
Ziel des Leibniz-Projektes „Politische Sprache im Mittelalter. Semantische Zugänge“ war es, durch einen wortgebrauchsgeschichtlichen Blick auf das lateineuropäische Mittelalter Vorarbeiten für eine systematische Erforschung der politischen Sprache im Mittelalter zu leisten. Unter der Leitung von Bernhard Jussen, Jan Rüdiger (bis 2011) und Gregor Rohmann (ab 2011) hatte das Projekt zwei Aufgaben:
Leibniz-Projekt und Arbeitsgruppe Texttechnologie haben zwei leistungsstarke, webbasierte Forschungsinstrumente entwickelt, die es erlauben, in beliebigen lateinischen Texten eine bislang nicht mögliche Form quantitativer und qualitativer semantischer Untersuchungen durchzuführen: einerseits ein passwortgeschütztes Experteninstrument (HSCM), andererseits ein offenes, einfach und schnell zu benutzendes Instrument für Kollegen/innen, die sich nicht einarbeiten wollen (CHS). Für diese Analyseinstrumente ist das derzeit größte verfügbare lateinische Wortformenlexikon (Frankfurt Latin Lexicon) aufgebaut worden, das ebenfalls online konsultierbar ist.
Das sehr schnell, einfach und ohne Passwort zu bedienende Instrument CHS erlaubt quantitative Beobachtungen in einem ständig wachsenden Angebot lateinischer Texte (derzeit ca. 4500), zunehmend aus guten Editionen (bes. MGH).
Das Experteninstrument HSCM erlaubt eine weitreichende, aktive Arbeit mit lateinischen Texten – Integration und Annotierung neuer Texte, Korrektur der vorhandenen Annotationen, Erweiterung des Wortformenlexikons, Kollationierung, und vieles mehr. Es erfordert ein Passwort und einige Zeit der Einarbeitung.
Zentral sind bei beiden Plattformen vor allem vier Schritte:
Das Programm und die beiden Benutzerseiten CHS und HSCM werden laufend verbessert. Grundlage der Aufbereitung und zugleich Ergebnis der laufenden Bearbeitung ist das weltweit größte lateinische Wortformen-Lexikon, das Frankfurt Latin Lexicon mit derzeit über 11 Mio Wortformen. Das Lexikon ist als eigenes Produkt auf CHS zu konsultieren und über HSCM zu bearbeiten.
Eine große Zahl (ca. 4500) gebräuchlicher Texte ist für die Forschungsgemeinschaft bereits aufbereitet worden. Ziel ist, (a) kontrollierbare, aktuelle Editionen analysierbar zu machen und (b) die vielfältigen Forschungsaktivitäten verschiedener Standorte im Bereich der Digitalisierung im Sinne einer Arbeitsteilung zu konzertieren. Grundlage war zunächst die Patrologia Latina. Bessere Texte bieten inzwischen Kooperationen mit
Jeder Text wird nach dem Standard der Typologie des Sources du Moyen Âge Occidental einer oder mehrerer Textsorten zugeordnet, um allen Nutzern die individuelle Corpusbildung zu erleichtern.
In unseren Projekten haben wir die Verwendbarkeit des entstehenden Werkzeugs laufend getestet und Möglichkeiten und Grenzen computergestützter semasiologischer und onomasiologischer Zugriffe bestimmt. Einige Projekte gingen schon in der Anlage über Wortgebrauchsgeschichten hinaus. Sie konnten daher HSCM/CHS vor allem für den ersten heuristischen Zugriff nutzen. Andere stützten sich stärker auf die corpuslinguistische Methode und konnten diese für die Mediävistik auch theoretisch neu unterfüttern. So haben wir an exemplarischen Einzelproblemen neue Schneisen in die Historische Semantik des Politischen im lateineuropäischen Mittelalter geschlagen.
Mehrere Folgeprojekte setzen die Arbeit des Leibniz-Projektes fort. Zu dessen Abschluss wollen wir den Arbeitsstand zur Diskussion stellen, indem wir bei den Herausforderungen eines semasiologisch-corpuslinguistischen Verfahrens ansetzen. Wir wollen all jene, die unsere Arbeit kritisch begleitet haben, einladen, Perspektiven auf dem Weg zu einer Historischen Semantik des Mittelalters zu diskutieren.
Werkzeuge wie CHS und HSCM zielen nicht auf eine Ersetzung des Textverstehens durch quantitative Auswertung, wohl aber auf Beschleunigung der Heuristik, Schärfung des analytischen Ergebnisses und Kontrolle der hermeneutischen Arbeit. Man findet systematischer (und erheblich schneller) die exemplarischen und die eigensinnigen Stellen; man kann „spannend“ von „exemplarisch“ scheiden; man erzielt Befunde, die von Hand kaum möglich sind; man kann die Ergebnisse nachvollziehbar machen. Corpuslinguistische Verfahren entziehen den hermeneutischen Zugang der autoritativen Hoheit der „Kennerschaft“ und machen ihre Ergebnisse besser nachvollziehbar. Hier wird also kein distant reading propagiert, sondern im Gegenteil ein close, aber quantitativ kontrolliertes, reading. Wir kommen dabei oft zu Ergebnissen, zu denen auch die klassische Textarbeit hätte kommen können. Aber schon jetzt sind uns durch den technisch gestützten Blick Befunde gelungen, die klassisch-hermeneutisch erzielte Lehrmeinungen in Frage stellen. Neben dieser Korrektivfunktion ergeben sich ganz neue Möglichkeiten einer Weiterentwicklung des semasiologisch-corpuslinguistischen Ansatzes:
Diese und andere Herausforderungen an eine Historische Semantik des Mittelalters möchten wir mit allen Interessierten diskutieren. Wir wünschen uns Beiträge zu drei Panels, denen wir vorderhand bewusst nicht einzelne der oben genannten Ansätze zuordnen wollen:
Zum Ende des Leibniz-Projekts möchten wir nicht nur über unsere Ergebnisse diskutieren. Jenen, die an Begriffs- und Wahrnehmungsgeschichte, Conceptual History oder Semiotik des Mittelalters interessiert sind, bieten wir an, CHS oder HSCM für die eigene Arbeit zu erproben. Aus den Diskussionen werden sich die Anforderungen für die Weiterentwicklung der neuen Werkzeuge ergeben.
Kaum weiterführend ist der Hinweis, jede Methode habe ihre toten Winkel, und Wortgebrauchsgeschichte sei eben Wortgebrauchsgeschichte. Potentiale und Grenzen der Historischen Semantik für die Mittelalterforschung müssen präziser markiert werden. Wie weit trägt eine Untersuchung sprachförmiger Überlieferungen angesichts der oben angedeuteten Spezifika der mittelalterlichen Kultur?
Welche Erfahrungen machen Kolleginnen und Kollegen bei der Entwicklung IT-gestützter Verfahren für die historisch-semantische Mittelalterforschung? Wie müssen und können computerlinguistische Verfahren mit den Spezifika mittelalterlicher Texte und Corpora umgehen? Wie bedingen sich Empirie einerseits und Corpuszuschnitt und Textaufbereitung andererseits?
Die Tagung des Leibniz-Projekts soll so zugleich den Anstoß geben für eine Weiterentwicklung des gewählten Ansatzes. Denn dass alle hier gestellten und im Rahmen der Tagung zu diskutierenden Fragen heute überhaupt zur Sprache kommen, ist schon ein eminent wichtiger Schritt auf dem langen Weg zu einer Historischen Semantik des Mittelalters.
Veranstalter: Leibniz-Projekt „Politische Sprache im Mittelalter. Semantische Zugänge“ an der Johann-Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Prof. Dr. Bernhard Jussen; PD Dr. Gregor Rohmann)
Datum: 19./20. Februar 2015
Ort: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Westend
Kontakt: Gregor Rohmann (g.rohmann@em.uni-frankfurt.de)
Tagungssprachen sind Englisch und Deutsch.
Abstracts für Vorträge (im Umfang von höchstens 300 Wörtern) senden Sie bitte bis zum 31. Oktober 2014 per Email an: PD Dr. Gregor Rohmann (g.rohmann@em.uni-frankfurt.de).
Prof. Dr. Bernhard Jussen
Goethe-Universität Frankfurt
Historisches Seminar
Grüneburgplatz 1
60629 Frankfurt am Main
Raum: IG 4.416
Tel: 069/798-32427
Fax: 069/798-32425
Email: jussen@em.uni-frankfurt.de
PD Dr. Gregor Rohmann
Goethe-Universität Frankfurt
Historisches Seminar
Grüneburgplatz 1
60629 Frankfurt am Main
Raum: IG 4.417
Tel: 069/798-32422
Fax: 069/798-32425
Email: g.rohmann@em.uni-frankfurt.de