Geschichte des Politischen

Wissenschaftliches Kolloquium zu Ehren von Professorin Dr. Luise Schorn-Schüttes 60. Geburtstag

Im Februar 2009 wird Frau Professorin Dr. Luise Schorn-Schütte 60 Jahre alt. Ihr zu Ehren hat eine Gruppe von Weggefährt/inn/en eine Veranstaltung geplant, die ein zentrales Forschungsthema der Jubilarin aufgreift und ihren vielfältigen Einsatz für die Forschungsförderung - u.a. auch als Vizepräsidentin der DFG und Kuratorin der VolkswagenStiftung - sichtbar machen soll.

Die Veranstaltung gilt dem Thema: Was heißt "Geschichte des Politischen" heute? – eine Frage, die Frau Schorn-Schütte seit langem am Herzen liegt. Wichtige Anstöße hat sie gegeben (wie u.a. die Etablierung des Internationalen Graduiertenkollegs "Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert" zeigt), um die Politikhistorie als eine Analyse von "politischen Sprachen" neu zu konzipieren. Allerdings ist dieser Ansatz nicht unwidersprochen geblieben: Sowohl von Seiten der klassischen Politikgeschichte als auch von Seiten der neuen Kulturhistorie hat es Einwände gegeben. Frau Schorn-Schütte durch eine Diskussion dieser Frage zu gratulieren, bietet sich daher an.

Die eintägige Veranstaltung wird aus drei Teilen bestehen. Im ersten Teil erhalten einige Stipendiatinnen und Stipendiaten des IGK "Politische Kommunikation" die Gelegenheit, Ergebnisse Ihrer Forschungen zu präsentieren und sie auf die systematische Frage zu beziehen. Damit wollen wir den Aspekt der Nachwuchsförderung durch das Graduiertenkolleg sichtbar machen. Im zweiten Teil kommen auf einer Podiumsdiskussion all diejenigen zu Wort, die sich – wie Frau Schorn-Schütte – seit Jahren mit diesem Thema beschäftigen (s. Programm); es handelt sich um erstrangige, z.T. berühmte Vertreter des Fachs.

Ausgerichtet wird die Veranstaltung durch das Historische Seminar, vertreten durch Professor Dr. Johannes Süßmann und Professorin Dr. Renate Dürr (ehem. Frankfurt, jetzt Kassel), in Zusammenarbeit mit dem Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit (Dr. Gisela Engel).

Die Veranstaltung ist öffentlich. Gebühren werden nicht erhoben.

Tagungsbericht

Anlässlich des 60. Geburtstages von Luise Schorn-Schütte fand am 27. Februar 2009 ein Ehrenkolloquium in Frankfurt am Main statt, das von Renate Dürr (Kassel), Gisela Engel (Frankfurt) und Johannes Süßmann (Frankfurt) organisiert und geleitet wurde. Den langjährigen Forschungsinteressen der Jubilarin entsprechend drehten sich verschiedene Vorträge und eine anschließende, hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion um das Thema „Geschichte des Politischen“. JOHANNES SÜSSMANN (Frankfurt) leitete den Tag morgens ein, indem er nach einigen persönlichen Worten der Ehrung Konzept und Aufbau der Veranstaltung erläuterte. Süßmann stellte zunächst den Bezug der Fragestellung zur Gegenwart her und wies in diesem Zusammenhang insbesondere auf die absehbaren konzeptionellen Folgen der aktuellen Finanzkrise hin, die langfristig die Diskussion über Inhalt und Gegenstand von „Politik“ weiter beleben dürfte. Schon allein deshalb war naheliegend, dass sich die Veranstaltung insbesondere mit dem heuristischen Nutzen des Politikbegriffes befassen sollte. Neben der Definition von Politik sollten vor allem die Frage nach Sinn und Nutzen eines „weiten“ oder „engen“ Politikbegriffs sowie die Vorzüge und Schwächen der erneuerten, kulturalistischen Politikgeschichte erörtert werden.

Dem Anliegen der Gefeierten entsprechend, kam in einer Vortragsrunde zunächst der wissenschaftliche Nachwuchs zu Wort. Sieben Vorträgerinnen und Vorträger aus dem Umfeld des Internationalen Graduiertenkollegs „Politische Kommunikation zwischen Italien und Deutschland von der Antike bis zur Gegenwart“ präsentierten ihre Forschungen. Eröffnet wurde der Reigen durch VERA MARGERIE (Frankfurt), die sich mit den politiktheoretischen Implikationen der Tacitus-Ausgaben von Justus Lipsius befasste. Prüfstein war dabei die Bewertung der taciteischen Darstellung von Kaiser Tiberius durch Lipsius. Nach allgemeinen Bemerkungen zur Rolle des Tacitus für die frühneuzeitliche Politiktheorie untersuchte Margerie einige von Tacitus betonte Eigenschaften des Kaisers auf ihre Rezeption und Bewertung bei Lipsius hin. Für alle analysierten Einzelbeispiele – Rolle der caliditas, der dissimulatio, der arcana – ergab sich ein ähnlicher Befund: Lipsius hielt sich in seinen Tacitus-Ausgaben mit politisierenden Kommentaren zu Einzelstellen stark zurück. Diese Editionen waren in erster Linie Meilensteine der Philologie, nicht aber politische Philosophie. Politisch war das philologische Unternehmen allerdings sehr wohl bereits als solches – schon der Hinweis auf die Aktualität des Tacitus an sich bedeutete bereits eine Positionierung im zeitgenössischen Diskurs.

CHRISTINA ANTENHOFER (Innsbruck) erörterte anschließend die Rolle von Emotionen in der politischen Korrespondenz des späten Mittelalters. Sie kombinierte theoretische Ansätze Douglas Waltons mit Fallbeispielen aus dem Kontext der Eheschließung zwischen Leonhard von Görz und Paula de Gonzaga 1476/78. An einzelnen Briefstellen untersuchte Antenhofer den konkreten Einsatz von Emotionen, wobei sie mehrfach eine „emotionale Erpressung“ der jeweiligen Adressaten ausmachte. Die Möglichkeit zum Einsatz solcher Gefühle hing dabei durchaus von der persönlichen Stellung des Schreibers gegenüber dem Adressaten ab. Insgesamt, so das Ergebnis, gehörten Emotionen sehr wohl zum erwarteten Kanon an Argumentationsmitteln, gerade bei politischen Beziehungen, die sich – wie im konkreten Fall – auf den „Code der Freundschaft und Verwandtschaft“ gründeten.

Mit dem Thema „Freundschaft“ in der politischen Kommunikation befasste sich auch der Beitrag von MARIO MÜLLER (Berlin). Nach einem Überblick über aktuelle Konzepte und Ansätze der Freundschafts-Forschung betonte Müller, dass gerade im europäischen Mittelalter Freundschaft ein weitverbreitetes politisches Konzept gewesen sei, das theologische und philosophische Aspekte verband und ein als universales Ordnungsprinzip sozialer Beziehungen galt, insofern als es friedliche Koexistenz anmahnte. Einige kurze Bemerkungen zur wechselhaften Relevanz der Freundschaft in politischen Kontexten seit dem Mittelalter schloss sich an, wobei – unter Hinweis auch auf aktuelle Beispiele wie die „Deutsch-Französische Freundschaft“ – die dauerhafte Bedeutung dieser Idee stark betont wurde.

Von CHRISTOPH FRANZEN (Frankfurt) wurde dargelegt, welche Rolle der Begriff der „Volksgemeinschaft“ in der politischen Sprache der Weimarer Republik spielte, ehe ihn die Nationalsozialisten vereinnahmten. Ausgangspunkt waren einige breiter angelegte Überlegungen Franzens zur Rolle politischer Milieus in der Weimarer Republik. In diesem Zusammenhang musste die politische Sprache sowohl die eigenen Milieus gezielt ansprechen als auch potentielle Wechselwähler erreichen können. In diesem Kontext spielte der Begriff „Volksgemeinschaft“ eine wichtige Rolle. Franzen zeigte verschiedene Verwendungsweisen und Stoßrichtungen des Begriffs auf, der bisweilen antimarxistisch ausgerichtet sein konnte, bisweilen aber auch eine „ganz große Koalition“ beinhalten konnte. Erst die Nationalsozialisten machten aus diesem inklusivistischen einen exklusivistischen Begriff.

Stärker institutionell und zugleich kulturgeschichtlich ausgerichtet war der Beitrag von LISA REGAZZONI (Frankfurt), die sich mit der politischen Rolle von Museen und von Artefakten im Kontext der Französischen Revolution und der anschließenden Restauration auseinandersetzte. Nachdem ursprünglich zahlreiche Monumente durch den revolutionären Eifer ihrer öffentlichen Sichtbarkeit beraubt und in Depots gelagert wurden, kam es im „Musée des Monuments Français“ zu einer Uminterpretation dieser Stücke. Nun stand ihr ästhetischer und historischer Wert im Vordergrund, der sie dann wieder für die eine öffentliche Ausstellung geeignet machte. Allerdings, so zeigte Regazzoni eindrucksvoll, war es ein beständiger Balanceakt, diesen Wert der Stücke – und damit des Musée im Gegensatz zum Louvre – zu belegen. Zahlreiche sprachliche Anpassungen an die wechselhaften politischen Kontexte waren deshalb notwendig. Unter Ludwig XVIII. wurde das Museum dann endgültig geschlossen. Hatte während der Revolution das Museum (bzw. das Depot) als angemessener Ort der Kunstschätze gegolten, so galt das Museum in Paris nun, nach der Restauration, selbst als Ort der Entfremdung.

In ihren Vortrag stellte ASTRID VON SCHLACHTA (Innsbruck) anschließend die Kommunikationsstrukturen der Täufer im 17. Jahrhundert vor. Zunächst analysierte sie deren internationale Netzwerke, durch die angefeindeten Glaubensgenossen moralische und materielle Unterstützung zuteil werden konnte. Vor allem niederländische Gemeinden versuchten mehrfach, auf verfolgende Obrigkeiten wie z.B. die Schweizer Städte Einfluss zu nehmen. Während sich die Täufer selbst in erster Linie als religiöse Gruppe sahen, betonten die Obrigkeiten immer stark die soziale Devianz der Täufer – nicht zuletzt unter beständigem Hinweis auf Bauernkrieg und Münsteraner Täuferreich. So sehr die Täufer selbst sich von politischer Unruhe distanzierten und sich bald positiv in die politischen und sozialen Organisationsstrukturen eingliederten, so wenig waren die Obrigkeiten davon beeindruckt. Die Täufer blieben ein Phänomen der Policey, nicht der Religion. Ihr internationaler Appell an Gewissensfreiheit lief angesichts dessen beständig ins Leere.

Die Vortragsreihe wurde beendet durch EVA WERNER (Innsbruck), die über die Berichterstattung zum Wiener Kongress in der Wiener Presse berichtete. Obwohl die Berichterstattung insgesamt wenig umfangreich gewesen ist, darf ihre politische Bedeutung nicht unterschätzt werden. Immerhin waren Metternich und Gentz selbst die Autoren der meisten einschlägigen Berichte über den Kongress im „Österreichischen Beobachter“. Insgesamt plädierte Werner deshalb für eine Neubewertung der in der Forschung bisher nur als unbedeutend abgetanen Wiener Tagespresse im Kontext des Wiener Kongress.

Zum Abschluss des Tages war eine ausführliche Podiumsdiskussion über das Rahmenthema anberaumt. Auf dem Podium versammelt waren THOMAS MAISSEN (Heidelberg), BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Münster), HEINZ SCHILLING (Berlin), FRIEDRICH-WILHELM GRAF (München), IRENE DINGEL (Mainz), RONALD G. ASCH (Freiburg) und ANDREAS RÖDDER (Mainz). Vorbereitete Statements der Teilnehmer und offene Diskussionsrunden wechselten einander ab. Heftig diskutiert wurden eine Reihe von Schwerpunkten. Beispielsweise bestand Uneinigkeit über die Frage, ob der Begriff „Politik“ bei aller historischen Differenzierung einen überhistorischen Kern haben könne oder nicht. Keine vollständige Übereinstimmung konnte daran anschließend erzielt werden bei der Frage, inwieweit es sich bei Politik in einem strengen Wortsinn um ein genuin lateinisch-europäisches Phänomen handele oder nicht. Ohnehin bezog die Diskussion um den Charakter und Begriff von Politik beständig auch die Auseinandersetzung mit Charakter und Begriff der Religion mit ein. Übereinstimmend in der Sache, wenngleich nicht unbedingt in der Periodisierung, betonte das Podium, dass die Trennung von Politik und Religion nicht nur für erstere, sondern gerade auch für letztere grundlegende Veränderungen bedeutete. Kritisch wurde an dieser Stelle auch gegen vereinfachte Differenzierungsmodelle von Politik und Religion argumentiert, etwa unter Hinweis darauf, dass die Autonomie der Politik immer nur ein Ideal, eine Forderung, niemals (bis jetzt) jedoch Realität gewesen sei. Vorgeschlagen wurde an dieser Stelle unter anderem, zwischen Eigenständigkeit (bzw. eigener Logik) und Unabhängigkeit der Politik analytisch zu trennen.

Unter stärker methodischer Perspektive diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer insbesondere das Verhältnis der „neuen“ zur „älteren“ Politikgeschichte. Von den Organisatoren vorgegeben worden war insbesondere die provokante Frage, ob es sich bei der „neuen Politikgeschichte“ um eine neue Form von „histoire totale“ handeln könne und solle. Erörtert wurde dabei vor allem, wie sich die neuen kulturalistischen Ansätze zu den klassischen Fragestellungen nach Institutionen, Recht und Gewalt in der Politik verhielten. Skeptische Stimmen artikulierten hier einen Nachholbedarf oder sogar eine gewisse Blindheit, die sich insbesondere in Polemiken gegen den Begriff des „Aushandelns“ äußerte. Positivere Bewertungen betonten dagegen, dass die neue Politikgeschichte auf jeden Fall umstandslos in der Lage sei, solche Themen zu integrieren und dies auch in zunehmendem Maße bereits tatsächlich erfolge. Als Alternative zum Begriff des „Aushandelns“ wurde das Konzept „ermächtigende Kommunikation“ (André Holenstein) vorgeschlagen. Luise Schorn-Schütte betonte in einer resümierenden Bemerkung gegen Ende der Veranstaltung, dass die neue, kulturalistische Politikgeschichte durch ihren weiteren Politikbegriff und die vorgenommenen Akzentverschiebungen in neuartiger Weise die Eigenständigkeit und Besonderheit der Frühen Neuzeit als Epoche sichtbar zu machen helfe. Alle Diskutanten stimmten zu, dass hierin nicht die geringste Leistung der erneuerten Politikgeschichte bestünde.

Beschlossen wurde die ertragreiche Veranstaltung durch einen großzügigen Empfang des Universitätspräsidiums. Ehren- und Grußworte sprachen Werner Müller-Esterl (Universitätspräsident), Matthias Kleiner (Präsident der DFG), Matthias Lutz-Bachmann (Dekan), Wilhelm Krull (Volkswagen-Stiftung) und Brigitte Mazohl (Internationales Graduiertenkolleg).

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