Dr. Mario Müller

Fürstliche Freundschaften und Einungen im ausgehenden Mittelalter. Der Glogauer Erbfolgestreit (1476-82) als Fallstudie

Gestern Feind. Heute Freund. Und was wird morgen ...? Das wusste man auch im 15. Jahrhundert nicht. Trotzdem einte man sich mit viel Zuversicht bis in alle Ewigkeit, die gemach der Länder verlange ja danach, verpflichtete im Voraus schon mal Söhne, Enkel, Urenkel - und so Gott will - noch deren Kinder und Kindeskinder zu Liebe und Freundschaft - beides sei schließlich angeboren - mit dem Feind von gestern und Freund von heute: wegen der vergangenen schweren leuffte, aber doch in erster Linie zum Lobe des allmächtigen Gottes und des Heiligen Römischen Reichs.

Ironie darf man sich wohl erlauben, wenn man die einleitenden Worte fürstlicher Erbeinungen paraphrasiert, jedenfalls heute, da das in Arenga und Narratio auf pathetische Weise vorgetragene gemeinsame Programm und vergangene Verhältnis der Fürstenfamilien viel Zuversicht und Enthusiasmus verrät, aber schon die nachfolgenden Bestimmungen für das künftige Miteinander erahnen lassen, dass sich dahinter ein hartes Stück Arbeit für die Zukunft verbirgt; vermutlich unerreichbar werden die hochgesteckten Ziele sein. Die vielen Erneuerungen der Fürsteneinungen infolge immer wieder aufbrechender Rivalitäten lassen die angepriesene Liebe und Freundschaft als einen schwer einzulösenden, frommen Wunsch erscheinen.

Nun waren fürstliche Einungen für die spätmittelalterliche Verfassung viel zu bedeutend, um flüchtig über sie hinweg zu sehen. Historikerinnen und Historiker füllten meterweise Bücherregale mit Arbeiten über Königs-, Fürsten- und sogenannte Staatsverträge, unterließen aber oft, die Sache beim Quellennamen zu nennen. Das Wort "Einung" - für bestimmte spätmittelalterliche Verträge - erwähnen erst neuere Arbeiten gehäufter, obwohl "Vertrag" ein selten bemühtes Wort in den deutschsprachigen Quellen war, "Einung" hingegen beliebt gewesen ist. Was inhaltlich hinter "Einungen", "Erbeinungen" oder "Erbverbrüderungen" - die ebenfalls "Einungen" genannt werden konnten - steckte, kann man zwar in einschlägigen Lexika nachschlagen, eine vergleichende Zusammenschau steht jedoch noch aus. Beunruhigender wirkt sich der von Otto von Gierke im 19. Jahrhundert begründete Trend aus, bei fürstlichen Vertragswerken nicht von "Einungen" zu sprechen, um sie besser trennen zu können von den "genossenschaftlich" organisierten kirchlichen, städtischen und dörflichen Gemeinschaften. Die nicht fürstlichen Einungen als ein auf Gleichberechtigung der Partner beruhendes Verhältnis fanden so ein bevorzugtes Interesse, Fürsteneinungen, die ebenfalls auf gleichberechtigten Partnerschaften beruhten, fristeten mit wenigen Ausnahmen bis in die 1990er Jahre ein Schattendasein. Wissenschaftlichen Auftrieb in Deutschland erhielten sie durch Gerd Althoffs Forschungen zu amicitia-Verträgen der Könige und Herzöge des frühen und hohen Mittelalters. Eine Schülerin Althoffs, Claudia Garnier, bearbeitete am Beispiel der geistlichen Kurfürsten erstmals spätmittelalterliche Fürsteneinungen und stellte deren inhaltliche Schwerpunkte vor. Garniers bevorzugtes Interesse lag in Anlehnung an Althoff auf den in den Einungen festgelegten und praktisch umgesetzten Möglichkeiten der Konfliktlösung bzw. -vermeidung.

Garnier legt offen, dass man ab dem 13. Jahrhundert dazu überging, die seit langem bekannten "Freundschaftsbündnisse" detaillierter zu fassen. War es bis dahin üblich, sich in den Verträgen allgemein Rat und Hilfe zuzusichern, ließen die Fürsten des späten Mittelalters in den Urkunden häufiger festsetzen, was die Partner konkret unter dieser traditionellen Formel verstanden wissen wollten. Eine Fürsteneinung konnte klare Bestimmungen zum Geleit, zu den Kompetenzen von Judikative und Exekutive, zu Zollbestimmungen, Waffenhilfe, gemeinsamen Expansionszielen und fürstlichen Schiedsgerichten enthalten. Fürsteneinungen nahmen in Nachbarschaftsbeziehungen von Königreichen und Landesherrschaften eine bevorzugte Stellung ein, wenn es galt, in Eintracht mit- und nebeneinander auszukommen. Sie erwiesen sich als das vielleicht erfolgversprechendste Friedens- und Machtinstrument, das als gleichwertige Ergänzung an die Seite von verwandtschaftlichen Bindungen und Friedensverträgen trat. Durch die Bestimmungen zur Strafverfolgung - ganz besonders in den Grenzregionen - und die Einbeziehung der Landschaften konnten die Fürsten mit Hilfe der Einungen auch auf die innere Ordnung ihrer Herrschaften einwirken; in einigen Fällen wurde festgelegt, mit Unterstützung der Partner widerständische Untertanen zum Gehorsam zu zwingen.

Partnerschaften, die auf einer halbwegs anerkannten Gleichberechtigung beruhten, gab es in Gemeinwesen wohl seit jeher. Sie trugen unterschiedliche Bezeichnungen: Freundschaften, Einungen, Bünde, Allianzen, Unionen. Sie waren und sind immer dann vonnöten, wenn Gewaltausübende friedfertigen bzw. wohlgesonnenen Charakters waren, Gewaltausübende Hilfe benötigen, um Feinden Widerstand zu leisten bzw. Ziele erfolgversprechender zu verwirklichen, oder Gewaltausübende die Grenzen ihrer Macht erkannten und zu dem Schluss gelangten, dass eine Partnerschaft einträglicher sei als Feindschaft. Spätmittelalterliche Fürsteneinungen bildeten in dieser Hinsicht keine Ausnahme, jedoch besaßen sie aufgrund gesellschaftlicher Rahmenbedingungen Eigenheiten, die grundlegend für ihren Charakter wurden. Dazu gehörte das christlich geprägte, dynastische Herrschaftsprinzip. In seiner Struktur folgte es dem das Mittelalter bestimmenden Familien- und Verwandtschaftsmodell, wonach die Menschen in umfängliche Beziehungen eingebunden waren, die nicht unbedingt auf biologische oder angeheiratete Verwandtschaften fußen mussten, aber nach deren Vorbild gelebt wurden. Daher finden wir zwischen Freundschaft und Verwandtschaft im Mittelalter keine begrifflichen Trennungen. Alle Familien- und Freundschaftsbeziehungen gingen in einem Punkt gleichermaßen auf: Man lebte und maß sie an den Idealen der christlichen Nächstenliebe.

In der hohen Politik wichen Fürsten nicht von diesen familiären Denkmustern ab. Sie benutzten es im politischen Alltag, um mit Gleichrangigen in freundschaftliche Verbindungen zu treten. Zum beliebtesten Mittel gehörte bekanntermaßen das Verheiraten von Töchtern und Söhnen mit Kindern aus Häusern, mit denen man schon in Freundschaft verbunden war oder es in Zukunft sein wollte. Der bayerische Landeshistoriker, Andreas Kraus, übertrieb sicher nicht, wenn er behauptete, dass "bis zum Ende des Ancien Regime ... Europa von einer einzigen Familie beherrscht" gewesen sei, "die aufgeteilt war in viele Linien, die große Familie der europäischen Dynastien."(Zit. nach Wolfgang E. J. Weber: Dynastiesicherung und Staatsbildung. Die Entfaltung des frühmodernen Fürs-tenstaats, in: ders. (Hg.): Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, Köln u. a. 1998, S. 91-136, hier S. 91.) Das Zitat bleibt ohne große Bedeutung für die Erforschung der politischen Geschichte, wenn man versucht, die Behauptung anhand von kaum überschaubaren genealogischen Bezügen zu bestätigen. Wichtiger ist es herauszufinden, wann Fürsten auf ihre tatsächliche oder verklärte Verwandtschaft zurückgriffen, ob das bloße Wissen um die familiären Bande ihnen ausreichte, um politische Vorstellungen in die Praxis umzusetzen.

Die Fürsteneinungen belegen, dass man die sich aus Verwandtschaft ergebenden Verpflichtungen in einem landespolitischen, rechtlich mehr oder minder abgesicherten Rahmen fixiert sehen wollte - angepasst an die langsam dichter werdende Verwaltung der Landesherrschaften. In vielen Fällen gelang das nicht ohne Mitsprache der Landschaften und nachdrückliche Anweisungen an die fürstlichen Amtleute. Beide Gruppen trugen zusammen mit den Fürstenfamilien die Konsequenzen aus den Einungen, hatten dafür zu sorgen, dass aus dem bekundeten guten Willen Realität wurde. Damit stellten Fürsteneinungen mehr als dynastische Verträge dar, sie banden die politischen Eliten und Träger der befreundeten Herrscher und deren Herrschaften.

Um der Bedeutung von Fürsteneinungen gerecht zu werden, habe ich meine Arbeit in vier thematische Kapitel gegliedert. Im ersten stelle ich ausführlich das Fallbeispiel vor. Dazu wählte ich den Glogauer Erbfolgestreit, eine knapp sieben Jahre währende Auseinandersetzung um das niederschlesische Herzogtum Glogau-Crossen zwischen den Markgrafen von Brandenburg, dem Saganer Herzog Johann II. und dem ungarischen König Matthias Corvinus. Der Erbfolgestreit bietet sich für die Aufgabenstellung besonders gut an, weil mit dem bekannten Markgraf und Kurfürst, Albrecht Achilles, einer der einflussreichsten Reichsfürsten seiner Zeit an der Spitze Brandenburgs stand, der einen ausgeprägten Hang für Fürsteneinungen hatte und die befreundeten Partner auch anhielt, ihm gegen Matthias Corvinus und Herzog Johann zur Seite zu stehen. Albrechts mächtigster Gegner, der ungarische König, hatte ebenfalls eine Vielzahl von Einungen ins Leben gerufen, die ihm vor allem in seinen Streitereien mit den jagellonischen Königshäusern in Polen und Böhmen sowie Kaiser Friedrich III. behilflich waren, aber ebenfalls im Erbfolgestreit mit Brandenburg bemüht wurden. Mit dem Fallbeispiel kann also ein größerer Raum mittel- und osteuropäischer Herrschaften untersucht werden, um die engere landesgeschichtliche Perspektive verlassen und Vergleiche anstellen zu können.
Im zweiten Kapitel stehen die Wortfelder um den Begriff "Freundschaft" im Mittelpunkt. Freundschaft, im späten Mittelalter gleichbedeutend mit Verwandtschaft, ist das zentrale Wort der Vertragstexte zu den Fürsteneinungen. Sämtliche weiteren Schlagworte der Verträge wie "Liebe, Treue, Ehre, Vertrauen" und diverse Verwandtschaftsbezeichnungen lagern sich um den Begriff "Freundschaft", bilden dessen inhaltliche Konkretisierung. Ohne das Verständnis dieser Worte im 15. Jahrhundert können die Vertragstexte nicht analysiert werden. Als Quellen der semantischen Untersuchung ziehe ich die Vertragstexte selbst, aber zahlenmäßig weit üppiger vertreten, die in deutscher und lateinischer Sprache abgefassten fürstlichen Korrespondenzen heran. Mit Hilfe dieser Ergebnisse versuche ich im dritten Kapitel die unterschiedlichen Vertragsformen der Einungen nach Inhalt und Vertragsdauer zu systematisieren. Die meisten im Erbfolgestreit gültigen Einungen gehen auf langjährige Partnerschaften zurück. Um die Forschungsergebnisse überschaubar zu gestalten, habe ich nur die brandenburgischen Einungen, die im Konflikt mit Matthias Corvinus und Herzog Johann relevant waren, zurückverfolgt. Die Wurzeln der Einungen mit Polen, Böhmen, Sachsen, Hessen, Mecklenburg und Pommern reichten bis ins 14. Jahrhundert zurück, wobei die Beziehungen Brandenburgs mit diesen Königreichen und Fürstentümern wesentlich älter sind, grenzten doch bis auf Hessen sämtliche Länder an die Markgrafschaft.

Die Analyse der Vertragsformen wäre von geringem Nutzen, wenn nicht die praktische Umsetzung geprüft würde. Denn nicht zuletzt änderten sich die Vertragstexte der Einungen über den untersuchten Zeitraum deshalb, weil die gemeinsamen Erfahrungen Abänderungen und Neuregelungen notwendig werden ließen. Hinzu kommt, dass wir die doch stattliche Dauer von 200 Jahren, die die brandenburgischen Einungen bestanden, erst erklären können, wenn der Nutzen für die landesherrliche Politik aufgedeckt wird. Natürlich werden die Ergebnisse aufzeigen, dass viele der Vertragsklauseln in der Praxis verletzt wurden und es zu kriegerischen Auseinandersetzungen unter den Freunden kam. Aber es gibt wohl kein politisches Mittel, das den Friedenszustand zwischen Nachbarländern auf Dauer bewahren oder minder folgenreiche Konflikte zur Gänze vorbeugen könnte. Die vielleicht größte Leistung der Einungen bestand darin, sich über Generationen hinweg Frieden und gegenseitiges Wohlwollen zuzusichern, selbst wenn es zu schlimmsten Differenzen in dieser Zeit kommen sollte. Denn so wie Frieden nicht von Dauer war, haben Krieg und Feindschaft ein Ende; und das Ende konnte schneller herbeigeführt werden, wenn freundschaftliche Einungen zuvor bestanden, man an "bessere" Zeiten anknüpfen konnte und sich dem Wert von einem organisierten Neben- und Miteinander bewusst wurde.

Für das zwischenzeitliche oder auch endgültige Scheitern der Einungen gab es jede Menge Gründe. Eine kleinere Auswahl stelle ich im abschließenden Kapitel vor. Dabei wird nicht auf ereignisgeschichtliche Vorkommnisse, die auf spezielle Anlässe zurückgehen, zurückgegriffen. Mir geht es um Störfaktoren, die zeitlich übergreifend zu finden und deren Wurzeln aus dem Umstand zu erklären sind, dass Menschen in Gesellschaften miteinander kommunizieren. Gerade im Politischen ist Kommunikation mit den größten Hürden versehen, treffen doch Menschen aufeinander, die sich fremd und gewohnt sind, unterschiedlichen Verfahrensweisen zu folgen. Dahinter stecken zwei Grundprobleme: Zum einen spielt in vordergründig personalen Strukturen der Politik, wie sie im späten Mittelalter anzutreffen waren, die individuelle Einschätzung eine erhebliche Rolle. Persönliche Gefühle, ob nun positiver oder negativer Natur, nahmen großen Einfluss auf Entscheidungen, vor allem in politischen Gebilden, an dessen Spitze ein Herrscher stand. Zum anderen stießen unterschiedliche Verfahren zuerst immer auf Skepsis, wenn nicht sogar auf Ablehnung. Nicht in jedem Fall waren sich die Fürsten und deren Räte über die Gewohnheiten im diplomatischen Verkehr im Klaren, weil Informationsdefizite bestanden, Erfahrungen erst gesammelt werden mussten. Daher stehen fürstliche Kommunikation und ihre Medien im Mittelpunkt des letzten Kapitels mit dem bezeichnenden Titel "Risiken".

Derzeitige Tätigkeit:

Seit 1. Oktober 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der TU Chemnitz.

Kontakt

Dr. Mario Müller
mario.mueller@phil.tu-chemnitz.de