Sven Düwel

Ad bellum Sacri Romano-Germanici Imperii solenne decernendum: Die Reichskriegserklärungen gegen die protestantischen Mächte Schweden und Brandenburg-Preußen in den Jahren 1675 und 1757. Untersuchungen zum Reichskriegsverfahren zwischen Immerwährendem Reichstag und Wiener Reichsbehörden

Die Reichsverfassung des Heiligen Römischen Reiches offerierte zwei Möglichkeiten, wie der innere Frieden im Reich aufrechtzuerhalten war: [1.] nach innen durch eine von den Reichsgerichten ausgesprochene Reichsexekution, die den Reichskreisen mittels Mahnmandaten (Excitatorien) den Landfrieden wiederherzustellen verfügte und [2.] nach außen durch die von Kaiser und Reichstag erklärten Reichskriege, die durch Zusammenwirken der Reichsstände einen äußeren Aggressor in einem Verteidigungskrieg abwehren sollten. Auf der Basis der alten Reichsverfassung war so die Abwehr von inneren als auch von äußeren "Reichsfeinden" möglich. Damit stellte sie für die Reichsstände auch einen wichtigen Aspekt der inneren Staatsbildung bzw. der "herrschaftszentrierten Institutionalisierung" dar, indem sie die Entwicklung von deren territorialen Integrität nach außen hin zu garantieren half. Einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Reichskriegserklärungen markierte der Westfälische Frieden von 1648 (Art. VIII §2 [IPO]), als er verfassungsrechtlich die Zustimmungspflicht der Reichsstände zum Reichskrieg verbriefte und damit den reichsverfassungsrechtlichen Rahmen der Reichskriegserklärungen eindeutig festlegte.

Im Zeitraum nach Abschluß des Westfälischen Friedens 1648 bis zur Reichsauflösung 1806 führte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation neun Reichskriege gegen äußere Feinde, davon zwei gegen das Osmanische Reich, einen gegen Schweden und Frankreich, fünf gegen Frankreich und einen gar gegen den König in Preußen, der auch als Reichsexekution interpretierbar ist. Von diesen neun Reichskriegen wurden sieben nach Verkündung von sogenannten Reichskriegsdeklarationen geführt, denn mit den Osmanen wurden keine Friedensverträge geschlossen, sondern stets Waffenstillstände; deshalb unterblieben auch Reichskriegserklärungen. Auf dem Reichstag wurden demnach im Zeitraum von 1674-1799 insgesamt acht Reichskriegsdeklarationen verabschiedet: eine gegen Schweden, eine gegen Preußen und sechs gegen Frankreich.

Die auf die damalige staatsrechtliche Reichspublizistik zurückgehende moderne Verfassungs-geschichtsschreibung hat diesen Deklarationen als Untersuchungsgegenstand der Debatten um die Notwehr-Gegenwehr-Widerstandsproblematik des Alten Reiches bis heute wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Lediglich zwei Aufsätze von Klaus Müller und Christoph Kampmann beschäftigten sich spezifisch für meinen Untersuchungszeitraum mit dieser Problematik. Doch wie sich die Reichskriegsdeklarationen entwickelten und wie sie auf das Alte Reich zurückwirkten bzw. welche Konflikte und zeitgenössischen Diskussionen um eine Rechtfertigung für legitime Abwehrmaßnahmen des Reiches im Zusammenwirken von Kaiser, Reichstag und Reichsständen daraus entstanden, ist noch nicht im Zusammenhang und systematisch untersucht worden. Damit ist auch noch unklar, welche Bedeutung die Reichskriegsdeklarationen für das Gebilde der alten Reichsverfassung insgesamt hatten. Eine Weiterentwicklung des Denkens auch über die Funktionsweise und Entwicklung der alten Reichsverfassung nach 1648 setzt jedoch einen Gegenstand voraus, der über einen längeren Zeitraum in seiner dynamischen Entwicklung betrachtet werden kann, ohne unbedingt eine gesamte Reichsgeschichte schreiben zu müssen. Die Reichskriegserklärungen scheinen hierfür besonders gut geeignet, um die Frage nach der Dynamik, aber auch nach dem paradigmatischen Ausmaß an Staatlichkeit des Alten Reiches exemplarisch abzubilden. Somit kann es im Laufe der Untersuchung möglich werden, zu verfassungsgeschichtlichen Neuinterpretationen im Sinne eines von Anton Schindling angemahnten "dynamischen politischen Verfassungsbegriffes" zu gelangen.

Welche Rückwirkungen der Reichskriegsdeklarationen auf das Gebilde der alten Reichsverfassung lassen sich erkennen? Wie wirkten sich im corpus imperii die Reichskriegsdeklarationen auf den Ist-Zustand der alten Reichsverfassung aus und zu welchen Konsequenzen im Verfassungsgebilde führten sie?

Das Forschungsvorhaben hat sich zum Ziel gesetzt, diese Forschungslücke durch eine zusammenhängende Untersuchung der Reichskriegsdeklarationen von 1674-1757 und deren Genese als Schnittstelle zwischen Bellizistik und Reichs(tags)forschung zu schließen und neu im Geschichtsbewußtsein zu verankern.

Publikationen

  • Die Diskussionen um eine Reform der Reichsverfassung in den Jahren von 1763 bis 1803 - Eine Verfassungsstudie auf der Grundlage ausgewählter publizistischer Schriften der damaligen Zeit (Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit, Bd. 54). Dr. Kovac Verlag, Hamburg 2008, 214 Seiten. ISBN 978-3-8300-3451-3.
  • Die „Reichskriegserklärungen” respektive „Reichsfeinderklärungen” 1674/75: Von der Konstituierung eines normierten Verfahrens. (im Druck, erscheint Anfang 2014).

Erstbetreuer:

Prof. Dr. Luise SchornSchütte (Frankfurt/Main)

Zweitbetreuer:

Prof. Dr. Marco Bellabarba (Trient)

Kontakt

Sven Düwel
svenduewel@web.de